Wohin du mich führst
Roman. Ausgezeichnet mit dem Jugendbuchpreis Buxtehuder Bulle 2001und dem Österreichischen Jugendbuchpreis 2002 von der Jury der jungen Leser, Literaturhaus Wien
Ein raffiniert komponierter literarischer Thriller von rasantem Tempo und eine spannende Liebesgeschichte mit Happy End.
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Produktinformationen zu „Wohin du mich führst “
Ein raffiniert komponierter literarischer Thriller von rasantem Tempo und eine spannende Liebesgeschichte mit Happy End.
Klappentext zu „Wohin du mich führst “
Ein raffiniert komponierter literarischer Thriller von rasantem Tempo und eine spannende Liebesgeschichte mit Happy End.So aufregend hat sich der 16-jährige Assaf seinen Ferienjob nicht vorgestellt: Ein herrenloser Hund zerrt ihn an der Leine hinter sich her quer durch die ganze Stadt Jerusalem. Er soll die Person finden, der das Tier entlaufen ist.
Der Hund führt den schüchternen Jungen zu den verschiedensten Personen und Assaf erfährt so nach und nach mehr über die Hundebesitzerin, die 16-jährige Tamar. Assaf ist fasziniert und beunruhigt zugleich. Warum hat Tamar alle Brücken zu ihrem früheren Leben abgebrochen? In welche dunklen Machenschaften ist sie verstrickt? Immer stärker fühlt sich Assaf zu dem Mädchen hingezogen, und längst geht es nicht mehr darum, nur den Hund zurückzubringen.
Mit jeder Hürde, die er bei seiner Suche überwinden muss, wachsen Assafs Kraft und Entschlossenheit. Als er Tamar endlich in ihrem Versteck findet, hat er den Mut, ihr zu helfen. Unter grossen Anstrengungen und Gefahren gelingt es den beiden, Tamars Bruder Schai zu retten, der in die Abhängigkeit einer skrupellosen kriminellen Bande geraten ist.
Lese-Probe zu „Wohin du mich führst “
Wohin du mich führst von David Grossman»Mein Schatten und ich machten uns auf den Weg.«
Ein Hund jagt durch die Straßen, gefolgt von einem Jungen. Eine lange Schnur verbindet die beiden und wickelt sich um die Beine der Passanten, die sich entrüsten und zetern, der Junge stammelt immer wieder »Tschuldigung, Tschuldigung«, zwischen den Entschuldigungen ruft er nach dem Hund: »Halt! Stehen bleiben!«, und einmal rutscht ihm sogar ein peinliches »Brrr!« heraus, der Hund rennt weiter.
Er prescht vor, überquert befahrene Straßen, wetzt bei Rot über die Fahrbahn. Der Junge sieht das goldene Fell wie ein geheimes Signal zwischen den Beinen der Fußgänger aufblinken, »Nicht so schnell!«, brüllt der Junge, wüsste er wenigstens den Namen des Hundes, könnte er ihn rufen und der Hund würde vielleicht anhalten oder wenigstens das Tempo drosseln, doch tief in seinem Innern ahnt der Junge, dass der Hund sich auch dadurch nicht aufhalten ließe, und wenn der Strick ihm die Kehle zuschnürte, er würde weiter auf sein Ziel zurennen, hoffentlich sind wir bald da und ich habe die Sache hinter mir.
Diese Dinge ereignen sich, als der Junge gerade eine schlechte Phase durchmacht. Der Junge, sein Name ist Assaf, rennt vorwärts, doch hinter ihm verknoten sich seine Gedanken, er kann sie jetzt nicht gebrauchen, er muss sich voll und ganz auf das Wettrennen mit dem Hund konzentrieren, doch er fühlt, wie er sie wie einen Schwanz scheppernder Blechbüchsen hinter sich herzieht; die Dose mit der Reise seiner Eltern ist darunter. In diesem Augenblick schweben sie über dem Ozean, die erste Flugreise ihres Lebens, musste das sein!, und die Büchse mit seiner großen Schwester, an die er gar nicht denken darf, weil sie nichts Gutes verheißt; und da sind noch mehr Dosen, kleine und
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große, die in seinem Hirn gegeneinander rumpeln, am Schwanzende trudelt die Konserve, die er schon seit zwei Wochen hinter sich herschleppt, ihr Scheppern geht ihm auf den Geist, sie poltert unüberhörbar, er soll sich doch endlich in Dafi verknallen, wie lange will er denn noch warten; Assaf hat das Gefühl, dass er einen Moment stehen bleiben muss, um die nervtötende Blechkolonne ein wenig zu ordnen, doch der Hund macht ihm einen Strich durch die Rechnung.
Mist, seufzt Assaf, denn kurz bevor die Tür aufgerissen wurde und man ihn holte, um den Hund auszuführen, war er drauf und dran gewesen, sich in sie, in Dafi, zu verlieben. Er hatte regelrecht fühlen können, wie er den widerspenstigen Punkt in seinem Bauch endlich bezwang und Herr über die leise, eindringliche Stimme wurde, die ihm von dort zuflüsterte: Lass die Finger von ihr, von dieser Dafi, sie ist eine Giftspritze und hat nichts Besseres zu tun, als Gott und die Welt zu verarschen, vor allem dich, wozu veranstaltest du Abend für Abend dieses schwachsinnige Theater. Just in dem Augenblick, als es ihm um ein Haar gelungen war, die hetzende Stimme zum Schweigen zu bringen, hatte sich die Tür des Büros, in dem er letzte Woche jeden Tag von acht bis vier verbracht hatte, geöffnet und Abraham Danoch, schmalbrüstig, dunkelhäutig und verbittert, stellvertretender Leiter des Gesundheitsamtes, mehr oder weniger ein Freund seines Vaters und der, der ihm den Job für den August verschafft hatte, meinte, er solle gefälligst seinen Arsch heben und ihm ins Städtische Tierheim folgen, er hätte endlich eine Aufgabe für ihn.
Danoch hatte es eilig und sprach unterwegs pausenlos von einem Hund, Assaf hörte nicht zu, er brauchte ein paar Sekunden, um umzuschalten, er tappte hinter Danoch durch die Korridore der Behörde, vorbei an den Wartenden, die ihr Wasser und ihre Grundsteuern bezahlen oder ihre Nachbarn wegen eines nicht genehmigten Balkons denunzieren wollten, Assaf folgte Danoch durch den Notausgang in den Hof und horchte forschend in sich hinein, ob es ihm nun gelungen war oder nicht, das letzte Argument gegen Dafi zu entkräften, was würde er heute Abend Roi sagen, der von ihm verlangte, dass er endlich seine Zweifel beiseite schob und sich wie ein Mann benahm. Schon von weitem hörte er das anhaltende, laute Gebell und wunderte sich, denn in der Regel kläfften sie alle auf einmal, hin und wieder riss ihr Chor ihn im dritten Stock aus seinen Träumen, doch jetzt bellte nur einer.
Danoch öffnete eine Gittertür, drehte sich um und machte eine Bemerkung, die Assaf wegen des Lärms nicht verstand, er öffnete eine zweite Tür und gab Assaf zu verstehen, er solle sich in den engen Gang zwischen den Zwingern zwängen. Es bestand kein Zweifel. Ausgeschlossen, dass Danoch Assaf wegen eines anderen Hundes hergebracht hatte. Es waren acht oder neun im Tierheim, jeder in einem eigenen Zwinger, aber in Wahrheit war dort nur ein Einziger, der seinen Leidensgenossen die Show stahl und ihnen die Sprache verschlug.
Er war nicht besonders groß, aber zügellos und stark und vor allem verzweifelt. Assaf hatte noch nie einen so verzweifelten Hund gesehen. Immer wieder warf er sich gegen das Gitter, dessen Stäbe ächzend vibrierten, dabei ließ er einen grauenhaft hohen Laut hören, eine merkwürdige Mischung aus Jaulen und Bellen.
Die übrigen Hunde standen oder lagen in ihren Zwingern und sahen ihn still und verstört, ja sogar ehrfürchtig an, und Assaf durchfuhr ein sonderbarer Gedanke, wenn ein Mensch sich in seiner Gegenwart so aufführte, würde er ohne zu zögern auf ihn zugehen und ihm seine Hilfe anbieten oder sich zurückziehen und ihn seiner Trauer überlassen. In den kurzen Pausen zwischen Bellen und Sprüngen gegen das Gitter sprach Danoch leise und hastig.
Ein Angestellter der Stadtverwaltung hatte den Hund zwei Tage zuvor in der Innenstadt am Zionplatz streunend aufgegriffen. Der Tierarzt hatte zunächst gedacht, der Hund habe Tollwut in einem frühen Stadium, aber der Verdacht hatte sich nicht bestätigt und abgesehen von dem Dreck und ein paar Schürfwunden war das Tier in einem Topzustand. Assaf bemerkte, dass Danoch durch den Mundwinkel sprach, als wolle er vor dem Hund verbergen, dass er über ihn redete.
»Das geht nun schon achtundvierzig Stunden so«, zischte er, »und der Saft geht ihm anscheinend immer noch nicht aus. Das ist ein Kerl, was?«, fügte er hinzu und straffte sich ein wenig, als der Blick des Hundes ihn streifte.
»Kein gewöhnlicher Straßenköter.«
»Wem gehört er?«, fragte Assaf und trat einen Schritt zurück, denn der Hund warf sich erneut mit einer Wucht gegen das Gitter, die sämtliche Zwinger erschütterte.
»Das ist es ja gerade«, näselte Danoch und kratzte sich am Kopf.
»Das sollst du ja herausfinden.« »Wieso ich?«, fragte Assaf erschrocken.
»Wie stellen Sie sich das vor?«
Danoch sagte: »Sobald diese Töle sich ein wenig beruhigt hat, werden wir ihr ein paar Fragen stellen.« Assaf sah ihn verständnislos an.
Danoch meinte, man werde vorgehen, wie man in diesen Fällen immer vorgehe. Man bindet dem Hund einen Strick um den Hals, lässt ihn laufen und folgt ihm eine Zeit lang. Ein, zwei Stündchen. In der Regel führt der Hund einen schnurgerade zu seinem Herrchen.
Assaf dachte, Danoch macht Witze, wer soll das denn glauben, aber Danoch zog einen gefalteten Bogen aus der Brusttasche seines Hemdes und meinte, bevor Assaf den Hund seinem Besitzer überließe, müsse der auf jeden Fall Formular Nr. 76 unterschreiben, steck es ein, Assaf, und verlier es nicht, denn um ehrlich zu sein, halte ich dich für eine Niete, denk vor allem daran, dem freundlichen Hundebesitzer klarzumachen, dass er das beiliegende Knöllchen 150 Schekel bezahlen muss, wenn er keinen Ärger mit der Justiz bekommen will, blechen muss er, a) weil er seine Aufsichtspflicht verletzt hat, dafür verpassen wir ihm einen Denkzettel, und b) weil dies der Min-dest-be-trag (Danoch genoss es sichtlich, sich schadenfroh Silbe für Silbe auf der Zunge zergehen zu lassen) für den Schlamassel und die Arbeit ist, die er der Stadtverwaltung aufgebürdet hat, ganz zu schweigen von der Zeit, die hoch-qua-lifi-zier-tes Personal für ihn verplempern musste!
Er klopfte Assaf eine Spur zu heftig auf die Schulter und sagte, wenn er erst den Hundebesitzer aufgespürt habe, könne Assaf wieder in sein Büro bei den Wasserwerken zurückkehren und seinetwegen bis zum Ende der Ferien auf Kosten der Steuerzahler in den Sessel furzen.
»Und wie soll ich . . .«, versuchte Assaf zu protestieren. »Sehen Sie sich den Hund doch mal an. Der ist doch total durchgeknallt . . .«
Da geschah es: Der Hund hörte Assafs Stimme und mit einem Schlag wurde er still. Er rannte nun nicht mehr hin und her. Zaghaft kam er an den Zaun und sah Assaf an. Seine Rippen stiegen noch immer hektisch auf und ab, aber seine Bewegungen verlangsamten sich und sein Blick wurde dunkel und scharf.
Er legte den Kopf auf die Seite, als wolle er sich Assaf genauer betrachten, und Assaf dachte, gleich reißt er das Maul auf und sagt mit einer durch und durch menschlichen Stimme: Der Durchgeknallte hier bist du. Der Hund kniete sich, legte sich auf den Bauch, senkte den Kopf und seine Vorderpfoten schoben sich scharrend oder bettelnd unter dem Gitter durch.
Aus seiner Schnauze drang ein neuer Laut, hoch und sanft wie das Wimmern eines Welpen oder eines Kindes. Assaf bückte sich. Er tat es automatisch. Selbst Danoch, der fischblütig war und ihm den Job nur mäßig begeistert besorgt hatte, zeigte den Anflug eines Lächelns, als Assaf so fix in die Knie ging. Assaf sah den Hund an und sprach leise auf ihn ein.
»Zu wem gehörst du denn?«, sagte er. »Was ist los mit dir? Warum machst du so einen Terror?«
Er sprach ruhig, ließ Raum für Antworten und vermied es, den Hund durch allzu lange Blicke in die Augen in Verlegenheit zu bringen. Er wusste der Freund seiner Schwester Relli hatte es ihm beigebracht , wie man mit einem Hund sprach.
Das Tier hechelte, legte sich flach auf den Boden und mit einem Mal sah es müde, erschöpft und ein Stück kleiner aus. Es herrschte einen Augenblick Ruhe, bevor die übrigen Hunde zu neuem Leben erwachten und in ihren Zwingern auf und ab zu laufen begannen. Assaf steckte den Zeigefinger zwischen die Gitterstäbe und berührte den Kopf des Tieres. Der Hund rührte sich nicht. Assaf streichelte vorsichtig das vor Dreck starrende Fell. Der Hund begann sofort ausdauernd zu winseln, als wolle er etwas loswerden, das er nicht länger für sich behalten konnte.
Seine rote Zunge zitterte und seine Augen wurden groß und viel sagend. Wegen dieses Augenblicks verzichtete Assaf auf eine weitere Diskussion mit Danoch, der sich beeilte, die Ruhepause zu nutzen, in den Zwinger trat und einen langen Strick an das orangefarbene Halsband band, das sich im Dickicht des Fells verbarg.
»Los, nimm ihn!«, befahl er. »Der ist jetzt zahm wie ein Lamm.«
Danoch schreckte ein wenig zurück, als der Hund plötzlich vor dem Zwinger stand und seine Erschöpfung und die stille Ergebenheit schlagartig abschüttelte, mit neuer Nervosität nach rechts und links schaute, schnüffelte und einer fernen Stimme zu lauschen schien.
»Ihr beide werdet schon klarkommen«, versuchte Danoch Assaf und sich selbst zu beruhigen. »Gib auf dich Acht, wenn du mit ihm durch die Stadt läufst.«
Die letzten Worte erstarben in seiner Kehle. Denn nun spannte und konzentrierte der Hund sich. Seine Schnauze wurde spitz und für einen Moment hatte er etwas von einem Wolf.
»Hör mal«, grummelte Danoch mit leichter Reue, »denkst du, du wirst mit ihm fertig?«
Assaf blieb eine Antwort schuldig. Er starrte nur verdutzt auf die Verwandlung, die mit dem befreiten Tier vorging. Danoch klopfte Assaf nochmals auf die Schulter.
»Du bist groß und hast Kraft. Sieh dich an. Du überragst mich und deinen Vater. Du schaffst ihn, was meinst du?«
Assaf wollte fragen, was er tun sollte, wenn der Hund ihn nicht zu seinem Herrchen führte, und wie lange er denn hinter ihm herlaufen sollte (in der Schreibtischschublade warteten die drei Stullen, die er sich für die Mittagspause aufgehoben hatte). Und was, wenn der Hund seinem Besitzer abgehauen war und gar nicht daran dachte, zu ihm zurückzukehren?
Diese Fragen wurden zu diesem Zeitpunkt nicht gestellt, und auch später nicht. Assaf sollte Danoch an jenem Tag und an den kommenden Tagen nicht wieder sehen. Mitunter lässt sich problemlos präzise der Moment bestimmen, an dem sich etwas beispielsweise Assafs Leben unwiderruflich und bis zur Unkenntlichkeit zu verändern beginnt.
Denn sobald Assafs Hand sich um die Schnur schloss, stürmte der Hund los und zog Assaf hinter sich her. Danoch streckte erschrocken den Arm aus, um ihn festzuhalten, und vermochte dem entführten Assaf ein paar Schritte zu folgen, setzte sich sogar noch hinter ihm in Trab vergeblich.
Assaf wurde durch den Hof der Stadtverwaltung gezerrt und auf die Straße geschleift. Und prallte gegen ein parkendes Auto, eine Mülltonne und eine Hand voll Fußgänger. Er rannte . . .
Der lange, buschige Schwanz pendelt schwungvoll vor seinen Augen, fegt Menschen und Fahrzeuge aus dem Weg und Assaf folgt ihm wie unter Hypnose, hier und da bleibt er, der Hund, einen Augenblick stehen, hebt den Kopf und schnuppert, biegt in eine Seitenstraße und rennt unbeirrt weiter, er scheint genau zu wissen, wohin, sodass die Chancen für ein baldiges Ende des Wettlaufs gut stehen, der Hund wird nach Hause finden und Assaf wird ihn seinem rechtmäßigen Eigentümer übergeben und, Gott sei's getrommelt und gepfiffen, eine Sorge weniger haben. Doch mitten im Rennen beginnt Assaf darüber nachzudenken, wie er vorgehen wird, wenn der Hundebesitzer sich weigern sollte, das Bußgeld zu zahlen.
Er wird ihm sagen: Hören Sie, mein Herr, mein Posten lässt mir in dieser Angelegenheit keinerlei Spielraum. Entweder Sie zahlen oder Sie landen vor Gericht! Der Mann beginnt auf der Stelle zu diskutieren und Assaf begegnet ihm mit schlagkräftigen Argumenten, rennt weiter und murmelt innerlich mit verkniffenen Lippen, entschieden und wohl wissend, dass er es nicht fertig bringen wird, Konflikte sind nicht seine Stärke, am Ende zieht er es immer vor, klein beizugeben und den Kürzeren zu ziehen, schließlich ist das genau der Grund dafür, dass er, um des lieben Friedens willen, Abend für Abend in der Sache Dafi Kaplan vor Roi den Schwanz einzieht, er versinkt in Gedanken, sieht diese Bohnenstange Dafi vor sich und hasst sich für seine Schwäche, als er bemerkt, dass der Koloss mit den toupierten Augenbrauen und der weißen Kochmütze ihm eine Frage gestellt hat. Assaf sieht ihn entgeistert an.
Dafis bleiches Gesicht mit der ewig spöttischen Miene und den durchsichtigen Eidechsenlidern verschmilzt auf der Stelle mit einem anderen aufgeblasenen wütenden Antlitz. Assaf schärft bestürzt den Blick und sieht eine Mauernische, in deren Hintergrund ein Ofen glüht. Wie sich herausstellt, hat der Hund aus einem unerfindlichen Grund beschlossen, vor einem kleinen Pizzaimbiss anzuhalten, der Pizzabäcker beugt sich gerade über die Theke und fragt Assaf erneut, zum zweiten oder womöglich gar zum dritten Mal nach einer jungen Dame.
»Wo steckt sie denn?«, fragt er. »Sie hat sich schon einen Monat nicht mehr blicken lassen.«
Assaf schielt vorsichtig nach den Seiten. Vielleicht redet der Pizzabäcker mit einer Person hinter ihm. Aber nein, er meint Assaf und will wissen, ob sie seine Schwester oder seine Freundin ist. Assaf nickt verstohlen und versucht, ein wenig Zeit zu gewinnen.
Nach einer Woche Stadtverwaltung weiß er, dass die Innenstädter mitunter merkwürdig reagieren und sonderbare Marotten haben. Und einen seltsamen Humor. Vielleicht liegt es an dem täglichen Umgang mit anderen schrägen Vögeln und Touristen aus aller Herren Länder, dass sie die Gewohnheit angenommen haben, sich stets so zu verhalten, als stünden sie auf der Bühne und hätten ein unsichtbares, an ihren Lippen hängendes Publikum vor sich.
Er will weg, weiter dem Hund hinterher. Aber ausgerechnet in diesem Augenblick setzt sich der Hund hin und sieht den Pizzabäcker erwartungsvoll an, der ihm freundlich zupfeift, als wären die beiden alte Bekannte. Und blitzschnell, wie ein Basketballspieler, wirft der Kerl dem Hund hinter dem Rücken aus der Hüfte eine dicke Kugel Mozzarella zu, die dieser in der Luft schnappt und verschlingt. Noch eine. Und noch eine und noch ein paar.
Der Pizzabäcker hat krause Brauen, die an zwei wild wuchernde Sträucher erinnern und bei Assaf das unbehagliche Gefühl des Getadelten auslösen. Der Mann behauptet, die Hündin noch nie derart ausgehungert gesehen zu haben.
»Die Hündin?«, nuschelt Assaf verdattert. Bis jetzt war er nicht auf die Idee gekommen, bei dem Hund könnte es sich um eine »Sie« handeln. Er hatte ihn für einen Rüden gehalten. Bei der Geschwindigkeit, der Kraft und der Entschlossenheit seiner Bewegungen. Schließlich hatte es in dem wahnwitzigen Lauf zwischen Zorn und Chaos auch Augenblicke gegeben, in denen Assaf die Vorstellung genossen hatte, sie bildeten eine Einheit, Herr und Hund gewissermaßen.
Eine Männerfreundschaft, die keiner Worte bedurfte. Und nun es irritierte ihn, dass er hinter einer Hündin hergelaufen war. Der Verkäufer rafft die buschigen Brauen und heftet einen prüfenden, vielleicht sogar argwöhnischen Blick auf Assaf.
Er fragt: »Was denn? Hat sie dich geschickt?« Und er macht sich daran, eine dünne, teigige fliegende Untertasse durch die Luft kreisen zu lassen, lässt sie in die Höhe schnellen und fängt sie gekonnt. Und Assaf nickt mit ein wenig geneigtem Kopf, genau zwischen Ja und Nein, lügen mag er nicht, der Pizzabäcker schmiert Tomatensauce auf den Teig, obwohl Assaf weit und breit keinen Kunden ausmachen kann, und bestreut ihn mit Oliven und gehackten Zwiebeln, Champignons und Sardellen, fügt Sesam und ein orientalisches Gewürz hinzu und wirft dabei immer wieder, ohne hinzusehen, ein paar kleine Käsebrocken über seine Schultern, die die Hündin, die bis eben noch ein Hund war, so gekonnt fängt, als könne sie seine Gedanken lesen.
Assaf bleibt stehen und gafft die beiden an, ihren erprobten Tanz, er fragt sich, was er hier verloren hat, worauf er eigentlich wartet. Irgendeine Frage an den Bäcker schwirrt ihm durch den Kopf, etwas über die junge Dame, die den Hund offenbar gewöhnlich begleitet, aber alle Fragen, die ihm dazu einfallen, kommen ihm lachhaft vor und würden mit komplizierten Erläuterungen über die Suche nach den Besitzern herumstreunender Hunde und über Ferienjobs bei Behörden einhergehen, und Assaf begreift mit einem Mal, vor welche Schwierigkeiten sein Auftrag ihn stellt, denn soll er tatsächlich Hinz und Kunz nach dem Verbleib des Hundebesitzers befragen? Gehört das überhaupt zu seinen Aufgaben bei der Stadtverwaltung? Wieso hat er sich eigentlich ohne Widerrede von Danoch dafür einspannen lassen?
Mehrmals lässt er in seinem Hirn sämtliche Argumente ablaufen, die er Danoch in dem Hundezwinger hätte entgegenhalten sollen; wie ein redegewandter, spitzfindiger Rechtsanwalt, mit einer Prise Arroganz, argumentiert er gegen den utopischen Auftrag und macht sich gleichzeitig, wie immer in solchen Situationen, ein wenig kleiner, zieht den Kopf zwischen die breiten Schultern und wartet ab. Und tief in seinem Innern werden all die großen und kleinen in ihm geballten Verdrusse durchgerührt, bis sie wie ein dünner Lavastrahl aus ihm herausbrechen, um sich auf seinem Kinn in einen einsamen brennenden Pickel zu verwandeln.
Glühend vor Wut auf Roi, dem es gelungen war, ihn zu überreden, auch den heutigen Abend wieder zu viert zu verbringen, zum wer-weiß-wievielten-Mal, und ihm auch noch erklärte, dass er mit der Zeit schon dahinterkäme, dass Dafi haargenau sein Typ sei, was die inneren Werte und so angehe.
So hatte er es formuliert und Assaf mit dem scharfen, langen Blick angesehen, dem Blick, der keinen Widerspruch duldet, und Assaf hatte in seiner Regenbogenhaut den goldenen, schmalen Ring des Spotts, der seine Pupillen umgab, gesehen und niedergeschlagen gedacht, dass sich ihre Freundschaft mit den Jahren in etwas anderes verwandelt hatte.
Aber wie sollte man es bezeichnen, dieses »andere«? Und Hals über Kopf hatte er erschrocken, wie von der Tarantel gestochen, zugesagt. Er würde mitkommen. Und Roi hatte ihm erneut auf die Schulter geklopft und gesagt: »So gefällst du mir, Junge.«
Assaf war gegangen und hatte sich gewünscht, er hätte den Mut, sich umzudrehen und Roi jene »inneren Werte« vor den Latz zu knallen. Schließlich brauchte Roi ihn und Dafi nur als Hohlspiegel, um sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, wie cool und locker er und seine Mejtal doch waren, wenn sie alle paar Schritte stehen blieben und knutschten, während Assaf und Dafi wortlos und feindselig hinter ihnen herlatschten.
»Was hast du denn?«, sagt der Pizzabäcker aufgebracht.
»Ich rede mit dir!« Assaf sieht, dass die Pizza in einen weißen Pappkarton verpackt und in acht Portionen geteilt wird, und der Pizzabäcker sagt entschieden, als ob er es leid wäre, alles nochmals zu wiederholen: »Ich hab sie belegt wie immer: zwei Ecken mit Pilzen, eine mit Sardellen, eine mit Mais, zwei normal und zwei mit Oliven. Fahr zu, damit die Pizza nicht kalt wird. Macht vierzig Schekel.«
»Wieso fahren?«, fragt Assaf leise.
»Bist du denn nicht mit dem Rad da?«, fragt der Pizzabäcker verwundert. »Deine Schwester packt sie immer auf den Gepäckträger. Aber nun erst mal zur Kasse!«
Er streckt Assaf einen langen, haarigen Arm entgegen. Der verstörte Assaf steckt die Hand in die Hosentasche und die Wut steigt aus der Tasche hoch und gärt, bis sie ihn von Kopf bis Fuß erfasst hat: Seine Eltern haben ihm vor ihrer Abreise genügend Geld dagelassen, aber er plant jede Ausgabe mit peinlicher Sorgfalt.
Er verkneift sich das Mittagessen in der Kantine der Stadtverwaltung, um sich die Mittel zu einem zusätzlichen Objektiv für die Canon zusammenzusparen, die seine Eltern ihm aus Amerika mitbringen wollen. Und die unplanmäßige Ausgabe, zu der er sich jetzt genötigt sieht, wurmt ihn, macht ihn rasend. Aber er hat keine Wahl. Es besteht kein Zweifel, dass der Typ die Pizza eigens für ihn gebacken hat, das heißt für die Person, die normalerweise mit dem Hund vorbeikommt.
Wäre Assaf nicht so sauer, würde er gewiss endlich nach der Hundebesitzerin fragen, aber wegen dieser Wut oder weil er denkt, er würde gleich platzen, weil immer wieder jemand über ihn bestimmt und für ihn entscheidet, was er zu tun hat, bezahlt er und macht eine scharfe Drehung, die demonstrieren soll, wie sehr ihm das Geld, das man ihm hier aus der Tasche gezogen hat, am Arsch vorbeigeht.
Doch die Hündin wartet nicht, bis der gewünschte Ausdruck auf seinem Gesicht gereift ist, sie rast los, spannt die Leine ruckartig in ihrer gesamten Länge und Assaf fliegt mit einem stummen Schrei ihr nach, sein Gesicht verzerrt sich von der Anstrengung, mit einer Hand die große Pappschachtel zu balancieren und mit der andern die Schnur zu halten, und nur durch ein Wunder gelingt es ihm, unversehrt die Fußgänger zu passieren, mit der Schachtel auf seinem ausgestreckten Arm in der Höhe, und er weiß genau, er macht sich nichts vor, dass er wie die Witzfigur von einem Kellner aussieht, und zu allem Übel beginnt auch noch der Duft der Pizza aus der Schachtel zu steigen, seit dem Morgen hat er nur ein belegtes Brot im Bauch und unbestritten hat er einen legalen Anspruch auf die Pizza über seinem Kopf, schließlich hat er jede einzelne Olive und jeden Champignon persönlich bezahlt, andererseits hat er das unbestimmte Gefühl, dass sie trotzdem nicht gänzlich die seine ist, dass gewissermaßen ein anderer sie gekauft hat, für einen anderen, und beide kennt er nicht.
Die Pizza schwingend sollte er an jenem Morgen noch viele Gassen, Straßen und rote Ampeln überqueren.
Noch nie war er so schnell durch die Straßen gerannt, nie hatte er mit einem Schlag so viele Gesetze übertreten, von allen Seiten hatte man gehupt, ihn angerempelt, ihn verflucht und hinter ihm her geschrien, aber schon nach wenigen Minuten juckte ihn das alles nicht mehr, mit jedem Schritt warf er die Wut auf sich selbst ab, denn zu seiner eigenen Überraschung fühlte er sich hier draußen auf einmal rundum frei, erlöst von dem muffigen, ätzenden Büro, frei von den kleinen und großen Problemen, die ihm in den letzten Tagen zugesetzt hatten, er war übermütig wie ein Komet, der seine Bahn verlassen hat und mit seinem …
Übersetzung: Hebräischen von Vera Loos und Naomi Nir-Bleimling
6. Auflage
Februar 2009 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
Mist, seufzt Assaf, denn kurz bevor die Tür aufgerissen wurde und man ihn holte, um den Hund auszuführen, war er drauf und dran gewesen, sich in sie, in Dafi, zu verlieben. Er hatte regelrecht fühlen können, wie er den widerspenstigen Punkt in seinem Bauch endlich bezwang und Herr über die leise, eindringliche Stimme wurde, die ihm von dort zuflüsterte: Lass die Finger von ihr, von dieser Dafi, sie ist eine Giftspritze und hat nichts Besseres zu tun, als Gott und die Welt zu verarschen, vor allem dich, wozu veranstaltest du Abend für Abend dieses schwachsinnige Theater. Just in dem Augenblick, als es ihm um ein Haar gelungen war, die hetzende Stimme zum Schweigen zu bringen, hatte sich die Tür des Büros, in dem er letzte Woche jeden Tag von acht bis vier verbracht hatte, geöffnet und Abraham Danoch, schmalbrüstig, dunkelhäutig und verbittert, stellvertretender Leiter des Gesundheitsamtes, mehr oder weniger ein Freund seines Vaters und der, der ihm den Job für den August verschafft hatte, meinte, er solle gefälligst seinen Arsch heben und ihm ins Städtische Tierheim folgen, er hätte endlich eine Aufgabe für ihn.
Danoch hatte es eilig und sprach unterwegs pausenlos von einem Hund, Assaf hörte nicht zu, er brauchte ein paar Sekunden, um umzuschalten, er tappte hinter Danoch durch die Korridore der Behörde, vorbei an den Wartenden, die ihr Wasser und ihre Grundsteuern bezahlen oder ihre Nachbarn wegen eines nicht genehmigten Balkons denunzieren wollten, Assaf folgte Danoch durch den Notausgang in den Hof und horchte forschend in sich hinein, ob es ihm nun gelungen war oder nicht, das letzte Argument gegen Dafi zu entkräften, was würde er heute Abend Roi sagen, der von ihm verlangte, dass er endlich seine Zweifel beiseite schob und sich wie ein Mann benahm. Schon von weitem hörte er das anhaltende, laute Gebell und wunderte sich, denn in der Regel kläfften sie alle auf einmal, hin und wieder riss ihr Chor ihn im dritten Stock aus seinen Träumen, doch jetzt bellte nur einer.
Danoch öffnete eine Gittertür, drehte sich um und machte eine Bemerkung, die Assaf wegen des Lärms nicht verstand, er öffnete eine zweite Tür und gab Assaf zu verstehen, er solle sich in den engen Gang zwischen den Zwingern zwängen. Es bestand kein Zweifel. Ausgeschlossen, dass Danoch Assaf wegen eines anderen Hundes hergebracht hatte. Es waren acht oder neun im Tierheim, jeder in einem eigenen Zwinger, aber in Wahrheit war dort nur ein Einziger, der seinen Leidensgenossen die Show stahl und ihnen die Sprache verschlug.
Er war nicht besonders groß, aber zügellos und stark und vor allem verzweifelt. Assaf hatte noch nie einen so verzweifelten Hund gesehen. Immer wieder warf er sich gegen das Gitter, dessen Stäbe ächzend vibrierten, dabei ließ er einen grauenhaft hohen Laut hören, eine merkwürdige Mischung aus Jaulen und Bellen.
Die übrigen Hunde standen oder lagen in ihren Zwingern und sahen ihn still und verstört, ja sogar ehrfürchtig an, und Assaf durchfuhr ein sonderbarer Gedanke, wenn ein Mensch sich in seiner Gegenwart so aufführte, würde er ohne zu zögern auf ihn zugehen und ihm seine Hilfe anbieten oder sich zurückziehen und ihn seiner Trauer überlassen. In den kurzen Pausen zwischen Bellen und Sprüngen gegen das Gitter sprach Danoch leise und hastig.
Ein Angestellter der Stadtverwaltung hatte den Hund zwei Tage zuvor in der Innenstadt am Zionplatz streunend aufgegriffen. Der Tierarzt hatte zunächst gedacht, der Hund habe Tollwut in einem frühen Stadium, aber der Verdacht hatte sich nicht bestätigt und abgesehen von dem Dreck und ein paar Schürfwunden war das Tier in einem Topzustand. Assaf bemerkte, dass Danoch durch den Mundwinkel sprach, als wolle er vor dem Hund verbergen, dass er über ihn redete.
»Das geht nun schon achtundvierzig Stunden so«, zischte er, »und der Saft geht ihm anscheinend immer noch nicht aus. Das ist ein Kerl, was?«, fügte er hinzu und straffte sich ein wenig, als der Blick des Hundes ihn streifte.
»Kein gewöhnlicher Straßenköter.«
»Wem gehört er?«, fragte Assaf und trat einen Schritt zurück, denn der Hund warf sich erneut mit einer Wucht gegen das Gitter, die sämtliche Zwinger erschütterte.
»Das ist es ja gerade«, näselte Danoch und kratzte sich am Kopf.
»Das sollst du ja herausfinden.« »Wieso ich?«, fragte Assaf erschrocken.
»Wie stellen Sie sich das vor?«
Danoch sagte: »Sobald diese Töle sich ein wenig beruhigt hat, werden wir ihr ein paar Fragen stellen.« Assaf sah ihn verständnislos an.
Danoch meinte, man werde vorgehen, wie man in diesen Fällen immer vorgehe. Man bindet dem Hund einen Strick um den Hals, lässt ihn laufen und folgt ihm eine Zeit lang. Ein, zwei Stündchen. In der Regel führt der Hund einen schnurgerade zu seinem Herrchen.
Assaf dachte, Danoch macht Witze, wer soll das denn glauben, aber Danoch zog einen gefalteten Bogen aus der Brusttasche seines Hemdes und meinte, bevor Assaf den Hund seinem Besitzer überließe, müsse der auf jeden Fall Formular Nr. 76 unterschreiben, steck es ein, Assaf, und verlier es nicht, denn um ehrlich zu sein, halte ich dich für eine Niete, denk vor allem daran, dem freundlichen Hundebesitzer klarzumachen, dass er das beiliegende Knöllchen 150 Schekel bezahlen muss, wenn er keinen Ärger mit der Justiz bekommen will, blechen muss er, a) weil er seine Aufsichtspflicht verletzt hat, dafür verpassen wir ihm einen Denkzettel, und b) weil dies der Min-dest-be-trag (Danoch genoss es sichtlich, sich schadenfroh Silbe für Silbe auf der Zunge zergehen zu lassen) für den Schlamassel und die Arbeit ist, die er der Stadtverwaltung aufgebürdet hat, ganz zu schweigen von der Zeit, die hoch-qua-lifi-zier-tes Personal für ihn verplempern musste!
Er klopfte Assaf eine Spur zu heftig auf die Schulter und sagte, wenn er erst den Hundebesitzer aufgespürt habe, könne Assaf wieder in sein Büro bei den Wasserwerken zurückkehren und seinetwegen bis zum Ende der Ferien auf Kosten der Steuerzahler in den Sessel furzen.
»Und wie soll ich . . .«, versuchte Assaf zu protestieren. »Sehen Sie sich den Hund doch mal an. Der ist doch total durchgeknallt . . .«
Da geschah es: Der Hund hörte Assafs Stimme und mit einem Schlag wurde er still. Er rannte nun nicht mehr hin und her. Zaghaft kam er an den Zaun und sah Assaf an. Seine Rippen stiegen noch immer hektisch auf und ab, aber seine Bewegungen verlangsamten sich und sein Blick wurde dunkel und scharf.
Er legte den Kopf auf die Seite, als wolle er sich Assaf genauer betrachten, und Assaf dachte, gleich reißt er das Maul auf und sagt mit einer durch und durch menschlichen Stimme: Der Durchgeknallte hier bist du. Der Hund kniete sich, legte sich auf den Bauch, senkte den Kopf und seine Vorderpfoten schoben sich scharrend oder bettelnd unter dem Gitter durch.
Aus seiner Schnauze drang ein neuer Laut, hoch und sanft wie das Wimmern eines Welpen oder eines Kindes. Assaf bückte sich. Er tat es automatisch. Selbst Danoch, der fischblütig war und ihm den Job nur mäßig begeistert besorgt hatte, zeigte den Anflug eines Lächelns, als Assaf so fix in die Knie ging. Assaf sah den Hund an und sprach leise auf ihn ein.
»Zu wem gehörst du denn?«, sagte er. »Was ist los mit dir? Warum machst du so einen Terror?«
Er sprach ruhig, ließ Raum für Antworten und vermied es, den Hund durch allzu lange Blicke in die Augen in Verlegenheit zu bringen. Er wusste der Freund seiner Schwester Relli hatte es ihm beigebracht , wie man mit einem Hund sprach.
Das Tier hechelte, legte sich flach auf den Boden und mit einem Mal sah es müde, erschöpft und ein Stück kleiner aus. Es herrschte einen Augenblick Ruhe, bevor die übrigen Hunde zu neuem Leben erwachten und in ihren Zwingern auf und ab zu laufen begannen. Assaf steckte den Zeigefinger zwischen die Gitterstäbe und berührte den Kopf des Tieres. Der Hund rührte sich nicht. Assaf streichelte vorsichtig das vor Dreck starrende Fell. Der Hund begann sofort ausdauernd zu winseln, als wolle er etwas loswerden, das er nicht länger für sich behalten konnte.
Seine rote Zunge zitterte und seine Augen wurden groß und viel sagend. Wegen dieses Augenblicks verzichtete Assaf auf eine weitere Diskussion mit Danoch, der sich beeilte, die Ruhepause zu nutzen, in den Zwinger trat und einen langen Strick an das orangefarbene Halsband band, das sich im Dickicht des Fells verbarg.
»Los, nimm ihn!«, befahl er. »Der ist jetzt zahm wie ein Lamm.«
Danoch schreckte ein wenig zurück, als der Hund plötzlich vor dem Zwinger stand und seine Erschöpfung und die stille Ergebenheit schlagartig abschüttelte, mit neuer Nervosität nach rechts und links schaute, schnüffelte und einer fernen Stimme zu lauschen schien.
»Ihr beide werdet schon klarkommen«, versuchte Danoch Assaf und sich selbst zu beruhigen. »Gib auf dich Acht, wenn du mit ihm durch die Stadt läufst.«
Die letzten Worte erstarben in seiner Kehle. Denn nun spannte und konzentrierte der Hund sich. Seine Schnauze wurde spitz und für einen Moment hatte er etwas von einem Wolf.
»Hör mal«, grummelte Danoch mit leichter Reue, »denkst du, du wirst mit ihm fertig?«
Assaf blieb eine Antwort schuldig. Er starrte nur verdutzt auf die Verwandlung, die mit dem befreiten Tier vorging. Danoch klopfte Assaf nochmals auf die Schulter.
»Du bist groß und hast Kraft. Sieh dich an. Du überragst mich und deinen Vater. Du schaffst ihn, was meinst du?«
Assaf wollte fragen, was er tun sollte, wenn der Hund ihn nicht zu seinem Herrchen führte, und wie lange er denn hinter ihm herlaufen sollte (in der Schreibtischschublade warteten die drei Stullen, die er sich für die Mittagspause aufgehoben hatte). Und was, wenn der Hund seinem Besitzer abgehauen war und gar nicht daran dachte, zu ihm zurückzukehren?
Diese Fragen wurden zu diesem Zeitpunkt nicht gestellt, und auch später nicht. Assaf sollte Danoch an jenem Tag und an den kommenden Tagen nicht wieder sehen. Mitunter lässt sich problemlos präzise der Moment bestimmen, an dem sich etwas beispielsweise Assafs Leben unwiderruflich und bis zur Unkenntlichkeit zu verändern beginnt.
Denn sobald Assafs Hand sich um die Schnur schloss, stürmte der Hund los und zog Assaf hinter sich her. Danoch streckte erschrocken den Arm aus, um ihn festzuhalten, und vermochte dem entführten Assaf ein paar Schritte zu folgen, setzte sich sogar noch hinter ihm in Trab vergeblich.
Assaf wurde durch den Hof der Stadtverwaltung gezerrt und auf die Straße geschleift. Und prallte gegen ein parkendes Auto, eine Mülltonne und eine Hand voll Fußgänger. Er rannte . . .
Der lange, buschige Schwanz pendelt schwungvoll vor seinen Augen, fegt Menschen und Fahrzeuge aus dem Weg und Assaf folgt ihm wie unter Hypnose, hier und da bleibt er, der Hund, einen Augenblick stehen, hebt den Kopf und schnuppert, biegt in eine Seitenstraße und rennt unbeirrt weiter, er scheint genau zu wissen, wohin, sodass die Chancen für ein baldiges Ende des Wettlaufs gut stehen, der Hund wird nach Hause finden und Assaf wird ihn seinem rechtmäßigen Eigentümer übergeben und, Gott sei's getrommelt und gepfiffen, eine Sorge weniger haben. Doch mitten im Rennen beginnt Assaf darüber nachzudenken, wie er vorgehen wird, wenn der Hundebesitzer sich weigern sollte, das Bußgeld zu zahlen.
Er wird ihm sagen: Hören Sie, mein Herr, mein Posten lässt mir in dieser Angelegenheit keinerlei Spielraum. Entweder Sie zahlen oder Sie landen vor Gericht! Der Mann beginnt auf der Stelle zu diskutieren und Assaf begegnet ihm mit schlagkräftigen Argumenten, rennt weiter und murmelt innerlich mit verkniffenen Lippen, entschieden und wohl wissend, dass er es nicht fertig bringen wird, Konflikte sind nicht seine Stärke, am Ende zieht er es immer vor, klein beizugeben und den Kürzeren zu ziehen, schließlich ist das genau der Grund dafür, dass er, um des lieben Friedens willen, Abend für Abend in der Sache Dafi Kaplan vor Roi den Schwanz einzieht, er versinkt in Gedanken, sieht diese Bohnenstange Dafi vor sich und hasst sich für seine Schwäche, als er bemerkt, dass der Koloss mit den toupierten Augenbrauen und der weißen Kochmütze ihm eine Frage gestellt hat. Assaf sieht ihn entgeistert an.
Dafis bleiches Gesicht mit der ewig spöttischen Miene und den durchsichtigen Eidechsenlidern verschmilzt auf der Stelle mit einem anderen aufgeblasenen wütenden Antlitz. Assaf schärft bestürzt den Blick und sieht eine Mauernische, in deren Hintergrund ein Ofen glüht. Wie sich herausstellt, hat der Hund aus einem unerfindlichen Grund beschlossen, vor einem kleinen Pizzaimbiss anzuhalten, der Pizzabäcker beugt sich gerade über die Theke und fragt Assaf erneut, zum zweiten oder womöglich gar zum dritten Mal nach einer jungen Dame.
»Wo steckt sie denn?«, fragt er. »Sie hat sich schon einen Monat nicht mehr blicken lassen.«
Assaf schielt vorsichtig nach den Seiten. Vielleicht redet der Pizzabäcker mit einer Person hinter ihm. Aber nein, er meint Assaf und will wissen, ob sie seine Schwester oder seine Freundin ist. Assaf nickt verstohlen und versucht, ein wenig Zeit zu gewinnen.
Nach einer Woche Stadtverwaltung weiß er, dass die Innenstädter mitunter merkwürdig reagieren und sonderbare Marotten haben. Und einen seltsamen Humor. Vielleicht liegt es an dem täglichen Umgang mit anderen schrägen Vögeln und Touristen aus aller Herren Länder, dass sie die Gewohnheit angenommen haben, sich stets so zu verhalten, als stünden sie auf der Bühne und hätten ein unsichtbares, an ihren Lippen hängendes Publikum vor sich.
Er will weg, weiter dem Hund hinterher. Aber ausgerechnet in diesem Augenblick setzt sich der Hund hin und sieht den Pizzabäcker erwartungsvoll an, der ihm freundlich zupfeift, als wären die beiden alte Bekannte. Und blitzschnell, wie ein Basketballspieler, wirft der Kerl dem Hund hinter dem Rücken aus der Hüfte eine dicke Kugel Mozzarella zu, die dieser in der Luft schnappt und verschlingt. Noch eine. Und noch eine und noch ein paar.
Der Pizzabäcker hat krause Brauen, die an zwei wild wuchernde Sträucher erinnern und bei Assaf das unbehagliche Gefühl des Getadelten auslösen. Der Mann behauptet, die Hündin noch nie derart ausgehungert gesehen zu haben.
»Die Hündin?«, nuschelt Assaf verdattert. Bis jetzt war er nicht auf die Idee gekommen, bei dem Hund könnte es sich um eine »Sie« handeln. Er hatte ihn für einen Rüden gehalten. Bei der Geschwindigkeit, der Kraft und der Entschlossenheit seiner Bewegungen. Schließlich hatte es in dem wahnwitzigen Lauf zwischen Zorn und Chaos auch Augenblicke gegeben, in denen Assaf die Vorstellung genossen hatte, sie bildeten eine Einheit, Herr und Hund gewissermaßen.
Eine Männerfreundschaft, die keiner Worte bedurfte. Und nun es irritierte ihn, dass er hinter einer Hündin hergelaufen war. Der Verkäufer rafft die buschigen Brauen und heftet einen prüfenden, vielleicht sogar argwöhnischen Blick auf Assaf.
Er fragt: »Was denn? Hat sie dich geschickt?« Und er macht sich daran, eine dünne, teigige fliegende Untertasse durch die Luft kreisen zu lassen, lässt sie in die Höhe schnellen und fängt sie gekonnt. Und Assaf nickt mit ein wenig geneigtem Kopf, genau zwischen Ja und Nein, lügen mag er nicht, der Pizzabäcker schmiert Tomatensauce auf den Teig, obwohl Assaf weit und breit keinen Kunden ausmachen kann, und bestreut ihn mit Oliven und gehackten Zwiebeln, Champignons und Sardellen, fügt Sesam und ein orientalisches Gewürz hinzu und wirft dabei immer wieder, ohne hinzusehen, ein paar kleine Käsebrocken über seine Schultern, die die Hündin, die bis eben noch ein Hund war, so gekonnt fängt, als könne sie seine Gedanken lesen.
Assaf bleibt stehen und gafft die beiden an, ihren erprobten Tanz, er fragt sich, was er hier verloren hat, worauf er eigentlich wartet. Irgendeine Frage an den Bäcker schwirrt ihm durch den Kopf, etwas über die junge Dame, die den Hund offenbar gewöhnlich begleitet, aber alle Fragen, die ihm dazu einfallen, kommen ihm lachhaft vor und würden mit komplizierten Erläuterungen über die Suche nach den Besitzern herumstreunender Hunde und über Ferienjobs bei Behörden einhergehen, und Assaf begreift mit einem Mal, vor welche Schwierigkeiten sein Auftrag ihn stellt, denn soll er tatsächlich Hinz und Kunz nach dem Verbleib des Hundebesitzers befragen? Gehört das überhaupt zu seinen Aufgaben bei der Stadtverwaltung? Wieso hat er sich eigentlich ohne Widerrede von Danoch dafür einspannen lassen?
Mehrmals lässt er in seinem Hirn sämtliche Argumente ablaufen, die er Danoch in dem Hundezwinger hätte entgegenhalten sollen; wie ein redegewandter, spitzfindiger Rechtsanwalt, mit einer Prise Arroganz, argumentiert er gegen den utopischen Auftrag und macht sich gleichzeitig, wie immer in solchen Situationen, ein wenig kleiner, zieht den Kopf zwischen die breiten Schultern und wartet ab. Und tief in seinem Innern werden all die großen und kleinen in ihm geballten Verdrusse durchgerührt, bis sie wie ein dünner Lavastrahl aus ihm herausbrechen, um sich auf seinem Kinn in einen einsamen brennenden Pickel zu verwandeln.
Glühend vor Wut auf Roi, dem es gelungen war, ihn zu überreden, auch den heutigen Abend wieder zu viert zu verbringen, zum wer-weiß-wievielten-Mal, und ihm auch noch erklärte, dass er mit der Zeit schon dahinterkäme, dass Dafi haargenau sein Typ sei, was die inneren Werte und so angehe.
So hatte er es formuliert und Assaf mit dem scharfen, langen Blick angesehen, dem Blick, der keinen Widerspruch duldet, und Assaf hatte in seiner Regenbogenhaut den goldenen, schmalen Ring des Spotts, der seine Pupillen umgab, gesehen und niedergeschlagen gedacht, dass sich ihre Freundschaft mit den Jahren in etwas anderes verwandelt hatte.
Aber wie sollte man es bezeichnen, dieses »andere«? Und Hals über Kopf hatte er erschrocken, wie von der Tarantel gestochen, zugesagt. Er würde mitkommen. Und Roi hatte ihm erneut auf die Schulter geklopft und gesagt: »So gefällst du mir, Junge.«
Assaf war gegangen und hatte sich gewünscht, er hätte den Mut, sich umzudrehen und Roi jene »inneren Werte« vor den Latz zu knallen. Schließlich brauchte Roi ihn und Dafi nur als Hohlspiegel, um sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, wie cool und locker er und seine Mejtal doch waren, wenn sie alle paar Schritte stehen blieben und knutschten, während Assaf und Dafi wortlos und feindselig hinter ihnen herlatschten.
»Was hast du denn?«, sagt der Pizzabäcker aufgebracht.
»Ich rede mit dir!« Assaf sieht, dass die Pizza in einen weißen Pappkarton verpackt und in acht Portionen geteilt wird, und der Pizzabäcker sagt entschieden, als ob er es leid wäre, alles nochmals zu wiederholen: »Ich hab sie belegt wie immer: zwei Ecken mit Pilzen, eine mit Sardellen, eine mit Mais, zwei normal und zwei mit Oliven. Fahr zu, damit die Pizza nicht kalt wird. Macht vierzig Schekel.«
»Wieso fahren?«, fragt Assaf leise.
»Bist du denn nicht mit dem Rad da?«, fragt der Pizzabäcker verwundert. »Deine Schwester packt sie immer auf den Gepäckträger. Aber nun erst mal zur Kasse!«
Er streckt Assaf einen langen, haarigen Arm entgegen. Der verstörte Assaf steckt die Hand in die Hosentasche und die Wut steigt aus der Tasche hoch und gärt, bis sie ihn von Kopf bis Fuß erfasst hat: Seine Eltern haben ihm vor ihrer Abreise genügend Geld dagelassen, aber er plant jede Ausgabe mit peinlicher Sorgfalt.
Er verkneift sich das Mittagessen in der Kantine der Stadtverwaltung, um sich die Mittel zu einem zusätzlichen Objektiv für die Canon zusammenzusparen, die seine Eltern ihm aus Amerika mitbringen wollen. Und die unplanmäßige Ausgabe, zu der er sich jetzt genötigt sieht, wurmt ihn, macht ihn rasend. Aber er hat keine Wahl. Es besteht kein Zweifel, dass der Typ die Pizza eigens für ihn gebacken hat, das heißt für die Person, die normalerweise mit dem Hund vorbeikommt.
Wäre Assaf nicht so sauer, würde er gewiss endlich nach der Hundebesitzerin fragen, aber wegen dieser Wut oder weil er denkt, er würde gleich platzen, weil immer wieder jemand über ihn bestimmt und für ihn entscheidet, was er zu tun hat, bezahlt er und macht eine scharfe Drehung, die demonstrieren soll, wie sehr ihm das Geld, das man ihm hier aus der Tasche gezogen hat, am Arsch vorbeigeht.
Doch die Hündin wartet nicht, bis der gewünschte Ausdruck auf seinem Gesicht gereift ist, sie rast los, spannt die Leine ruckartig in ihrer gesamten Länge und Assaf fliegt mit einem stummen Schrei ihr nach, sein Gesicht verzerrt sich von der Anstrengung, mit einer Hand die große Pappschachtel zu balancieren und mit der andern die Schnur zu halten, und nur durch ein Wunder gelingt es ihm, unversehrt die Fußgänger zu passieren, mit der Schachtel auf seinem ausgestreckten Arm in der Höhe, und er weiß genau, er macht sich nichts vor, dass er wie die Witzfigur von einem Kellner aussieht, und zu allem Übel beginnt auch noch der Duft der Pizza aus der Schachtel zu steigen, seit dem Morgen hat er nur ein belegtes Brot im Bauch und unbestritten hat er einen legalen Anspruch auf die Pizza über seinem Kopf, schließlich hat er jede einzelne Olive und jeden Champignon persönlich bezahlt, andererseits hat er das unbestimmte Gefühl, dass sie trotzdem nicht gänzlich die seine ist, dass gewissermaßen ein anderer sie gekauft hat, für einen anderen, und beide kennt er nicht.
Die Pizza schwingend sollte er an jenem Morgen noch viele Gassen, Straßen und rote Ampeln überqueren.
Noch nie war er so schnell durch die Straßen gerannt, nie hatte er mit einem Schlag so viele Gesetze übertreten, von allen Seiten hatte man gehupt, ihn angerempelt, ihn verflucht und hinter ihm her geschrien, aber schon nach wenigen Minuten juckte ihn das alles nicht mehr, mit jedem Schritt warf er die Wut auf sich selbst ab, denn zu seiner eigenen Überraschung fühlte er sich hier draußen auf einmal rundum frei, erlöst von dem muffigen, ätzenden Büro, frei von den kleinen und großen Problemen, die ihm in den letzten Tagen zugesetzt hatten, er war übermütig wie ein Komet, der seine Bahn verlassen hat und mit seinem …
Übersetzung: Hebräischen von Vera Loos und Naomi Nir-Bleimling
6. Auflage
Februar 2009 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von David Grossman
David Grossman, geboren 1954 in Jerusalem, gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern unserer Gegenwart. Seine Romane, Sach- und Kinderbücher wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in viele Sprachen übersetzt. Vera Loos, 1955 in Saarlouis geboren, ist Literaturübersetzerin und bildende Künstlerin. Sie hat angewandte Sprachwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität des Saarlandes und der Universität Nantes studiert. Sie hat zahlreiche Romane aus dem Hebräischen übersetzt, u. a. von David Grossman, Batya Gur, Amos Oz und Meir Shalev. Vera Loos lebt und arbeitet in Saarbrücken.
Produktdetails
- Autor: David Grossman
- Altersempfehlung: Ab 14 Jahre
- 2014, 16. Aufl., 448 Seiten, Masse: 18,8 x 11,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Vera Loos, Naomi Nir-Bleimling
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423621389
- ISBN-13: 9783423621380
- Erscheinungsdatum: 01.06.2003
Rezension zu „Wohin du mich führst “
Es berührt tief, dass dieser Autor des Friedens, der Grosszügigkeit, der Bedachtsamkeit ein solch schweres persönliches Schicksal erleiden muss: "Nichts ist so schrecklich, wie wenn Eltern ihrem Kind ins Grab schauen müssen", heisst es im Volksmund, aber es gibt noch eine Steigerung: wenn man sein Kind in einem sinnlosen Krieg verliert. In diesem Roman, den David Grossman schon vor vielen Jahren geschrieben hat, geht es aber nicht um Bomben, nicht um Terror, nicht um Probleme mit den Bewohnern der angrenzenden Gebiete. Aber der Handlungsort ist gleichwohl Jerusalem. In dieser Stadt konnten die Menschen vor dem Jahr 2000 ein scheinbar normales Leben führen. Assaf hat jedenfalls kein Bedürfnis, in den Ferien ins Ausland zu fahren. Lieber bleibt er zuhause und nimmt einen Ferienjob an. Der entpuppt sich allerdings als äusserst interessantes Betätigungsfeld, denn er wird zum Ausgangspunkt einer aufregenden, turbulenten Suche nach einem Mädchen namens Tamar, in die sich Assaf unsterblich verliebt. Aber so weit sind wir noch nicht. Tamars Hund ist entlaufen, landet im Fundbüro der Stadt, und Assaf soll sich nun von ihm zu seinem Besitzer führen lassen. Der Hund ist auch eifrig bemüht, er läuft jede Station an, wo man ihn und Tamar kennt. So lernt der Junge, der zunächst noch etwas schüchtern ist, aus den Erzählungen der Menschen, denen er dabei begegnet, eine vielschichtige, reizvolle, aussergewöhnliche junge Frau kennen. Und nicht nur das, auch die Menschen selbst mit ihren Lebensgeschichten, die in die Erzählungen eingehen, werden zu Freunden. Warum Tamar allerdings ihren geliebten Hund ausgesetzt hat, das kann niemand verstehen. Nur ein schreckliches Geheimnis kann der Grund dafür sein. Assaf wächst über sich hinaus, mit einer unglaublichen Energie, mit Phantasie und Mut arbeitet er sich gemeinsam mit dem grossartigen Hund immer näher an die Gesuchte heran und bringt damit alle, ohne es zu ahnen, in grösste Gefahr. Dieser komplexe Roman, der das Leben in Israel als
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facettenreiches Bild entwirft, ist für geübte Leser ein Genuss, denn die Perspektiven wechseln in sich steigerndem Tempo. Um den Faden nicht zu verlieren, braucht man zumindest eine gute Portion Konzentration und man sollte das Buch auf jeden Fall in einem Rutsch lesen. Deshalb ist dieses dicke Buch eine ideale, super spannende Ferienlektüre. (Rezension von Gabriele Hoffmann aus dem Libri-Fachkatalog Harry & Pooh 2008/2009)
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