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Neurodermitis

Wie können wir unseren Kleinen jetzt helfen und die Symptome lindern?

Bei einer Neurodermitis leiden Kinder ziemlich doll – und wir Eltern gleich mit. Wir fragen uns: Wie können wir unseren Kleinen jetzt helfen und die Symptome lindern? Welche Pflege braucht die Haut jetzt genau? Mit diesem Artikel möchten wir Eltern Tipps und Antworten auf wichtige Fragen an die Hand geben. Als Expertin steht uns die Ärztin & Influencerin Dr. Nikola Klün aka „Kinderleibundseele“ zur Seite!

„Die Diagnose Neurodermitis bedeutet für die betroffenen Kinder nicht, wie oft behauptet, einen lebenslangen Leidensweg.

Unsere Haut ist mit 1,5-2 Quadratmetern und über 100 Milliarden Hautzellen das grösste Organ unseres Körpers. Und manchmal ist es doch echt zum “aus der Haut fahren“, wenn es überall juckt und kratzt. Was zeigt unser Körper uns damit an? Dass das Immunsystem gestört ist. Denn die Haut, unser grösstes Organ, hat eigentlich die Aufgabe, unser Immunsystem zu schützen. Und diese Aufgabe kann sie gerade nicht erfüllen, weil etwas aus dem Lot geraten ist. Dabei ist unsere Haut wie ein Mantel, der uns nicht nur vor Kälte und Hitze, sondern auch vor Krankheitserregern schützt. Ist das Säuremilieu gestört, können nicht nur Keime in die Haut eintreten, sondern auch Feuchtigkeit nicht wieder abgegeben werden. Wussten Sie, dass sich unser “Mantel“ alle vier Wochen erneuert? Unsere sich ständig vermehrenden Hautzellen verhornen an der Oberfläche der Haut und pro Minute fallen über 35.000 von diesen Zellen von uns ab. Wir bröseln also alle fröhlich vor uns hin und verteilen unseren genetischen Abdruck in der Weltgeschichte, ohne es zu bemerken. Faszinierend, oder?

Nikola Klün

Ärztin & Influencerin Dr. Nikola Klün aka „Kinderleibundseele“

Was sind Anzeichen von Neurodermitis? Dr. Nikola Klün klärt uns auf:

Wenn es uns selbst mal juckt, ist das zwar ärgerlich, aber durch Cremes und Co. können wir doch oft relativ schnell Abhilfe schaffen. Etwas anders sieht das aber natürlich bei Kindern oder Neugeborenen aus, die durch viel Weinen mitteilen, dass etwas nicht mit ihnen stimmt. Und wenn Haut-Arreale bei unseren Babys und Kindern plötzlich ganz anders aussehen, gerötet sind oder auch schuppen dann stellen wir uns als Eltern natürlich die berechtigte Frage: Ist das eine Neurodermitis? Und in der Regel machen wir uns dann Sorgen. Aber: Was sind die Anzeichen für eine Neurodermitis? Wie können wir unseren Kindern helfen, wenn sie Neurodermitis haben? Und wie hoch ist die Chance, dass die Neurodermitis genauso schnell geht, wie sie gekommen ist? Antworten auf diese und weitere wichtige Fragen zum Thema bekommen wir jetzt von Dr. Nikola Klün. Nikola ist Ärztin in der Kindermedizin, Influencerin und Podcasterin. Vielleicht kennen Sie sie schon als „Kinderleibundseele“. Nikolas Herzensangelegenheit: uns Eltern medizinisches Wissen an die Hand geben, damit wir unbeschwerter und aufgeklärter durch den Familienalltag gehen können. In Social Media und in ihrem Podcast erfahren wir unter anderem, ob wir Q-Tipps bei unseren Kindern überhaupt verwenden sollten, ob Fluorid, wie oft behauptet, dumm macht oder wie gefährlich Hüpfburgen bzw. Trampoline wirklich sind. Übrigens: im kommenden Frühjahr erscheint Nikolas erstes Buch. Und bis dahin freuen wir uns über das Interview hier im Magazin mit ihr zum Thema Neurodermitis.


Mädchen

Eine passende Therapie kann das Leben der Kinder mit Neurodermitis sehr erleichtern.

Liebe Nikola, was ist Neurodermitis genau? Wie äussert sie sich? Welche Schweregrade gibt es?

Dazu muss ich eines vorweg sagen: Die Diagnose Neurodermitis bedeutet für die betroffenen Kinder nicht, wie oft behauptet, einen lebenslangen Leidensweg. Eine passende Therapie kann das Leben der Kinder mit der Erkrankung sehr erleichtern. Die Neurodermitis ist eine chronisch entzündliche Hauterkrankung mit starkem Juckreiz und typischen Hautveränderungen. Die Neurodermitis fällt unter die sogenannten atopischen Erkrankungen, das sind Überempfindlichkeitsreaktionen des Immunsystems wie allergisches Asthma, Heuschnupfen, Nahrungsmittelallergien. Über 10 Prozent aller Kinder leiden unter dieser Hauterkrankung und es werden mehr. Unser westlicher Lebensstil scheint bei der Zunahme der Erkrankung eine Rolle zu spielen.

Wir müssen bei der Diagnosestellung nach Haupt- und Nebenkriterien unterscheiden:

Hauptkriterien sind:

  • Juckreiz
  • Hautveränderungen mit typischen Verteilungsmuster
  • Chronischer Verlauf
  • Atopische Erkrankung in der Familie

Nebenkriterien sind:

  • Trockene Haut
  • Schuppung
  • Empfindlichkeit für Hautinfektionen
  • Hautentzündungen an Händen und Füssen
  • Erhöhter IgE-Spiegel im Blut
  • Auffällige Allergietestung
  • Frühkindlicher Erkrankungsbeginn
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Typischerweise treten die Ausschläge mit unterschiedlicher Dauer und Schwere auf. Bei Babys und Kleinkindern bis zum zweiten Lebensjahr sind oft Gesicht, Kopfhaut und Streckseiten der Arme und Beine betroffen. Die Rötungen sind klassischerweise grossflächig, zum Teil nässend und zum Teil verkrustet. Oft ist die Windelregion ausgespart. Im Alter von über zwei Jahren ändert sich die Lokalisation: jetzt sind häufiger Armbeugen, Kniekehlen und der Hals betroffen. Auch Hände und Füsse können betroffen sein. Um die passende Therapie für die Kinder zu finden, kann man den Zustand der Haut nach einem Punktescore in einen leichten, mittleren und schweren Schweregrad einteilen.


Doro und Kerstin

Doro und Kerstin, unsere Expertinnen von MutterKutter (© Anne Seliger)

In welchem Lebensalter kristallisiert sich heraus, dass es sich wohl um eine Neurodermitis handelt?

Meistens wird die Diagnose Neurodermitis erst nach dem ersten Lebensjahr vergeben. Davor beobachtet man die Haut der Babys und stellt zum Beispiel schon mal fest, dass das Baby zu einer sehr trockenen Haut oder zu trockenen Stellen auf der Haut neigt. Manche Babys zeigen aber schon in den ersten Lebensmonaten so eindeutige Hauterscheinungen, dass man schon in den ersten Lebensmonaten die Diagnose vergibt.

„Bei Neurodermitis braucht die Haut sehr intensive Pflege.“

Welche Therapieformen gibt es? Und wie können wir unseren Babys und Kindern helfen, wenn es juckt und weh tut (Kleidung, Medikamente, Pflegeprodukte)?

Bei Neurodermitis braucht die Haut sehr intensive Pflege, d.h. auch in beschwerdefreien Phasen. Die Haut hat einen Mangel an Feuchtigkeit und reagiert deswegen auch empfindlicher auf Einflüsse von aussen. Ziel der Basispflege ist es, die Haut so zu stabilisieren, dass eine bessere Hautbarriere einen besseren Schutz gegenüber den Umwelteinflüssen bietet. Die Basispflege sollte 1-2 x täglich dünn aufgetragen werden. Eltern sollten unbedingt darauf achten, dass in den Cremes keine Duft- oder Konservierungsstoffe, keine Emulgatoren oder andere Reizstoffe enthalten sind. Ausserdem sollten sie auf Inhaltsstoffe verzichten, die Allergien auslösen könnten, wie zum Beispiel Duftstoffe, Wollwachsalkohole, Cetylstearylalkohole und Methylisothiazolinon.

Öl-in-Wasser-Emulsionen (feuchter Umschlag, Hydrolotio, Lotio, Creme) sind weniger fettend, ziehen besser in die Haut ein und werden eher im Sommer verwendet.

Wasser-in-Öl-Emulsionen (Lipolotio, Fettcreme, Salbe) sind fettender und eignen sich eher für den Winter. Je fettiger eine Creme ist, desto luftdichter wird die Haut abgeschlossen. Bei akuten Entzündungen kann das zu vermehrtem Juckreiz führen.

Die Basiscreme sollte nach dem aktuellen Hautzustand und Jahreszeit ausgewählt werden. Es gilt im Allgemeinen: “FEUCHT AUF FEUCHT” und “FETT AUF TROCKEN”. Je akuter das Ekzem ist, desto mehr Wasser und desto weniger Fett sollte die Creme enthalten. Je trockner die Haut ist und je geringer die Entzündung ist, desto mehr Fett ist nötig. Zur Basistherapie kann ein Zusatz von Harnstoff und Glycerin empfohlen werden. Harnstoff sollte jedoch nicht bei Säuglingen verwendet werden. Bei entzündeter Haut, beziehungsweise bei Kleinkindern, raten wir Ärzt* innen dazu, die Verträglichkeit vorher zu prüfen, weil Irritationen möglich sind. Es ist ratsam, dass Eltern früh mit der Therapie der Neurodermitis bei ihrem Kind beginnen, weil das für den Gesamtverlauf günstig ist. Dazu kann eine frühe Behandlung das Risiko für andere allergische Erkrankungen, wie Asthma senken. Die Therapie im Schub sollte sich immer am Hautzustand orientieren und dynamisch angepasst werden.


Mädchen hat eine Blume in der Hand

Der Neurodermitis-Schub & Cortisoncremes

Was ist ein Neurodermitis-Schub? Und was ist dabei zu beachten?

Damit ist die akute Form gemeint beziehungsweise die akute Verstärkung der Neurodermitis. Im Verlauf der Erkrankung kommt es immer wieder zu Schüben. Diese sollten frühzeitig behandelt werden, um einer weiteren Verschlechterung vorzubeugen. Sehr oft wird zu spät mit der Behandlung begonnen. Kortison wird natürlich nicht gerne gesehen, dennoch kann es sehr hilfreich für die Behandlung im akuten Schub sein, bekämpft aber nicht die Ursache der Erkrankung, sondern „unterdrückt“ nur die Symptome. Cortison-Cremes gibt es in verschiedenen Wirkstoffklassen und Generationen (die neueren Generationen haben weniger, häufige Nebenwirkungen. Wenn nicht anders vom Arzt beziehungsweise der Ärztin verordnet, reicht die EINMALIGE Anwendung von cortisonhaltigen Cremes (auf keinen Fall mehr als zweimal täglich).

Die effektivste Behandlung bieten heute kindgerechte Cortison-Cremes. Bei den Cortisoncremes gibt es verschiedene Wirkstoffklassen. Der Kinderarzt wählt prinzipiell die Creme aus, die gerade noch hilft (so wenig wie möglich, so viel wie nötig ist hier die Devise). Das A und O bei einer Behandlung mit Cortison ist, die Behandlung nicht abrupt abzubrechen, sondern die Behandlung nach einem Schema auszuschleichen. Wenn die Behandlung zu schlagartig abgebrochen wird, hat das letztendlich oft eine Verschlechterung des Hautzustands zur Folge. Alternativ zum Cortison gibt es auch andere Wirkstoffe, wie zum Beispiel Pimecrolimus und Tacrolimus. Diese dürfen ab einem Alter von zwei Jahren eingesetzt werden. Die alternativen Wirkstoffe werden an besonders empfindlichen Hautstellen oder, wenn Cortison nicht vertragen wird, angewendet. Sollte die Behandlung mit einer Creme nicht ausreichend sein, um den Juckreiz zu stillen, so kann man mit Antihistaminika für die Nacht arbeiten: Für Kinder bieten sich Dimetinden (Fenistil) oder Doxylamin (Mereprine) oder Clemastin (Tavegil) als Sirup an. Die Dosierung richtet sich nach dem Körpergewicht bzw. dem Alter.

Bleibt Neurodermitis denn für immer oder kann sie auch "verschwinden"? Wenn ja: Welche Fälle sind das?

Bei über 50 Prozent der Kinder verschwindet die Erkrankung bis zum 6. Geburtstag. Je eher die Erkrankung auftritt, desto eher verschwindet sie auch wieder.

Welche Rolle spielt die Darmflora bei Neurodermitis?

Inwiefern spielt die Darmflora bei Neurodermitis eine Rolle?

Viele Studien legen nahe, dass die Darmflora und die Hautgesundheit zusammenhängen. Dabei scheint es so zu sein, dass eine verschobene Darmflora nicht der einzige Auslöser, sondern ein Mit-Risikofaktor für die Entstehung einer Neurodermitis sein könnte. Es ist deswegen auf jeden Fall nicht verkehrt, sich mit ballaststoffreichen und probiotischen Lebensmitteln zu ernähren. Die Einnahme von Probiotika hat vermutlich keinen langanhaltenden Effekt.

Gibt es irgendwelche Möglichkeiten, um in der Schwangerschaft Neurodermitis vorzubeugen (Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel, Aufbau der Darmflora)?

Wenn man als Elternteil selbst an Neurodermitis gelitten hat oder leidet oder Geschwisterkinder betroffen sind, empfiehlt man für die schwangere Mutter auf vollwertige vitaminreiche Mischkost zu achten. Es ist keine spezielle Diät notwendig. Einige Studien legen nahe Lactobacillus einzunehmen. Lactobacillus GG im letzten Drittel der Schwangerschaft und weitere sechs Monate während der Stillzeit kann das Risiko für das Baby an Neurodermitis zu erkranken, senken.

Wie können wir einem neuen Schub vorbeugen?

Was können Auslöser für einen neuen Schub sein und können wir ihnen vorbeugen?

Auch wenn sich Neurodermitis bei den Kindern oft mit ähnlichen typischen Hautveränderungen präsentiert, sind die Ursachen und deswegen auch die Therapie oft individuell. Auslöser können sein:

  • Allergie: erhöhte Reaktionsbereitschaft des Immunsystems
  • Allergene
  • Schadstoffen
  • Klima
  • Infekte
  • Hautreizende Substanzen: Kosmetika, Seife, Parfüm, Deos, Cremes, Lösungsmittel, Wolle
  • Verminderte Haut-Schutzfunktion: fehlerhafte Bildung der Hornschicht, verminderte Talgproduktion, veränderte Zusammensetzung des Säureschutzmantels
  • Vererbung
  • Psyche / Stress (aber: es gibt nicht den „Neurodermitis-Charakter“)
  • Nahrungsmittel

Liebe Eltern, ich rate Ihnen: Am Besten führen Sie ein Tagebuch, um mögliche Auslöser zu identifizieren und diese zu vermeiden. Dazu können Sie sich immer an die Kinderärzt* innen, Hautarzt*innnen und kinderdematologische Sprechstunden wenden – dort bekommen Sie fundiert-fachliche Hilfe! Alles Liebe Ihrem Kind und Ihnen!