„Mir wurde wirklich noch die Geschichte von den Bienchen und Blümchen erzählt. Im Nachgang ist das unglaublich. Sowas von fern der Realität. Aber damals war das so.“ – das hat meine Mutter mir, Doro, neulich erst erzählt, als wir über das Thema sexuelle Aufklärung gesprochen haben. Total irre, finde ich. Und auch cool, wie sich das Familienleben, die Gedanken und Werte innerhalb von Jahrzehnten doch drastisch ändern können. Meine Mutter ist selbst schon ganz anders, direkt und völlig frei aufgeklärt. Ich muss auch in der Vorschule oder in der ersten Klasse gewesen sein, als sie mir erzählt hat, wie der Hase läuft und Babys entstehen. Ich weiss noch, dass nicht ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg, sondern mir selbst. Und dass ich mit gepressten Lippen ein „Bäh, wie eklig!“ hervorgepresst habe.
Dorothee Dahinden und Kerstin Lüking von MutterKutter zum Thema "Aufklärung bei Kindern"
Nun gut ... irgendwann wurde auch ich Teenie und las Jugendzeitschriften. Dann fand ich Sex nicht mehr eklig, sondern aufregend. Und dennoch haben sich diese Bilder von den Mädchen und Jungs, die diesen Knopf für das Nackt-Selfie gedrückt haben, bei mir eingebrannt. Dazu dann diese Leser*innen-Fragen und Texte vom Dr. Sommer-Team – was der Bio-Unterricht offenbar versäumt hatte, erfuhr ich aus Teenie-Blättern. In meiner Erinnerung wurde es damals so dargestellt, dass „Jungs sich die Mädchen nehmen“. Dass das von Natur aus so sei. Mädchen kichern, Jungs sind die Hengste. Diversität? Menschen mit Behinderung, verschiedene sexuelle Orientierungen? Waren offenbar – zumindest meiner Erinnerung nach – gar kein Thema. Genauso erinnere ich mich nur an weisse Jugendliche. Und beim Tippen läuft mir ein Schauer über den Rücken. Ich war zwar aufgeklärt, ja. Aber nur über den Akt an sich – nicht darüber, dass Liebe und Familie bunt sind. Und nicht darüber, dass wir Mädchen und Frauen unsere Bedürfnisse und Grenzen im Hinblick auf die Sexualität klar äussern dürfen. Ich habe auch bis vor zwei Jahren das Wort „Scheide“ statt „Vulva“ benutzt, wenn ich über den äusseren Teil des weibliche Geschlechtsorgans gesprochen habe. Dann wurde ich eines Besseren belehrt: Die Vulva wiederum besteht ja aus der Scheide, der Klitoris, der Harnröhrenöffnung und den äusseren und inneren Lippen. Aber genau das können meine Kinder heute schon besser. Sie wissen nicht nur, wie die Geschlechtsteile genau bezeichnet werden, sondern auch, dass es die unterschiedlichsten Familienkonstellationen und sexuellen Orientierungen gibt. Ich gebe ihnen mit, dass ein „NEIN!“ ein Nein ist und dass ihr Körper ihnen selbst gehört. Lernen durfte ich in diesem Zusammenhang auch viel von unserem Gastautoren Carsten Müller. Er ist Sexualtherapeut und -pädagoge und hat das Aufklärungsbuch „Von wegen Bienchen und Blümchen“ für Kinder geschrieben. Nicht nur der Titel bringt es auf den Punkt. Das Buch ist einfach so klasse. Wir lesen es immer wieder – Carsten hat eine tolle Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen und uns Eltern möglichen Scham zu nehmen. Wir freuen uns, dass Carsten uns hier bei tausendkind als Experte zur Seite steht. Wir haben mit ihm bei tausendkind bereits über das Thema Sexualtität in der Partnerschaft gesprochen.