Dr. Judith Bildau, Frauenärztin (© Alex Heitz)
Liebe Judith, was ist eine Wochenbettdepression genau?
Die Wochenbettdepression ist eine depressive Erkrankung, die definitionsgemäss innerhalb von drei Monaten nach der Geburt eintritt und länger als zwei Wochen anhält. Mütter, die darunter leiden, können eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Symptomen haben. Der Leidensdruck ist in der Regel sehr gross. Manchmal beginnen die Symptome eher schleichend, gar nicht so selten aber auch sehr abrupt. Sowohl für die Mütter – als auch die Partner*innen und im Grunde auch für das gesamte familiäre Umfeld – ist die Wochenbettdepression eine sehr belastende Erkrankung.
Woran erkennen wir sie? Wie äussert sie sich?
Wie gesagt kann sich die Erkrankung schleichend entwickeln und sich der Zustand der Mutter eher langsam verschlechtern. Aber auch ein sehr plötzliches Auftreten der Symptome ist möglich. Manchmal ist es gar nicht so einfach, eine Wochenbettdepression „von aussen” zu erkennen, da die Mütter häufig weiter „ganz normal” funktionieren. Eine Wochenbettdepression ist mitnichten gleichbedeutend damit, dass sich eine Mutter gar nicht mehr um ihr Kind kümmern kann. Die Symptome sind sehr vielfältig und können in ihrer Intensität sehr unterschiedlich sein. Zusammengefasst kann man sagen, dass die häufigsten Beschwerden eine tiefe Traurigkeit bis hin zur Hoffnungslosigkeit sind, häufig kommt es zusätzlich zu Schlafstörungen und innerer Unruhe, manchmal aber auch zu einem deutlich vermehrten Schlafbedürfnis und einer starken Antriebshemmung. Die meisten Frauen, die an einer Wochenbettdepression leiden, haben grosse Angst, etwas mit ihrem Baby falsch zu machen, sind sehr besorgt und fühlen sich schuldig, weil sie das Gefühl haben, als Mütter zu versagen.
Was unterscheidet sie vom Baby-Blues?
Manchmal sind die Grenzen natürlich nicht ganz einfach zu ziehen zwischen „Baby-Blues” und Wochenbettdepression. Rein definitionsgemäss handelt es sich beim „Baby-Blues” um ein vorübergehendes, sich selbstlimitierendes Stimmungstief kurz nach Geburt. Es hält in der Regel nur wenige Tage an, manchmal dauert es sogar nur ein paar Stunden. Ursächlich dafür ist einerseits die hormonelle Umstellung nach der Geburt, andererseits natürlich auch die plötzlich komplett neue Lebenssituation, die verständlicherweise erst einmal grosse Angst machen kann. Die Wochenbettdepression ist dagegen ein echtes Krankheitsbild, das in der Regel nicht direkt nach der Geburt auftritt, sondern innerhalb der ersten Wochen und dessen Symptome länger als zwei Wochen andauern.
Wie viele Frauen sind zirka betroffen?
Es ist nicht ganz einfach, hier eine genaue Zahl zu nennen. Schliesslich leiden viele Mütter auch “still”, d.h. heisst sie holen sich keine professionelle Hilfe und erhalten deshalb auch nicht die Diagnose “Wochenbettdepression”. Geschätzt liegt die Zahl bei etwa 10-20 Prozent aller Mütter.
Sie sind nicht allein!
Ab wann sollten wir uns Hilfe holen?
Mein Appell an alle Mütter ist: Bitte warten Sie nicht zu lange, versuchen Sie nicht zu lange durchzuhalten und vor allem haben Sie keine Scham, wenn es Ihnen schlecht geht! Niemals. Nicht im Wochenbett und auch nicht später. Sobald Sie das Gefühl haben, Sie stossen an ihre Grenzen, Sie wissen nicht mehr weiter und Sie brauchen Hilfe – bitte holen Sie sich diese.
Bei der Wochenbettdepression können erste Anlaufstellen ganz konkret die Hebamme und/oder derdie Frauenärztin sein. Vertrauen Sie ihnen sich an. Sie können dann gemeinsam mit Ihnen weitere Schritte in die Wege leiten. Sie sind nicht allein.
Wie kann einer Betroffenen geholfen werden?
Erst einmal ist es ganz wichtig, die Diagnose zu stellen und den Frauen zu versichern, dass sie weder schuldig, noch schlechte Mütter sind. Die Wochenbettdepression ist eine Erkrankung, die es gilt, zu behandeln. Die Behandlung setzt sich meist aus verschiedenen Behandlungsbausteinen zusammen und gehört auf jeden Fall in professionelle Hände. Einer dieser Bausteine ist in der Regel eine Psychotherapie, manchmal benötigt es zusätzlich auch eine pharmakologische Unterstützung in Form von Antidepressiva.
Und inwiefern grenzt sich die Wochenbettdepression von der "normalen Depression" ab, die alle Geschlechter treffen kann?
Die Wochenbettdepression, deren Symptome natürlich der einer “normalen” Depression gleichen können, kann zeitlich eindeutig der Schwangerschaft und der Geburt zugeordnet werden. Übrigens: Frauen, die in ihrem Leben bereits an einer Depression gelitten haben, haben ein erhöhtes Risiko, auch an einer Wochenbettdepression zu erkranken. Deshalb ist es hier besonders wichtig, auf auftretende Symptome nach der Geburt zu achten.