Schlafregression. Ein Wort, das ich mir, Doro, erst einmal auf der Zunge zergehen lassen muss. Das klingt ziemlich hölzern. Staubig. Aber in ihm steckt auch Hoffnung, denn dieses Wort kann Eltern Wissen und eine Erklärung an die Hand geben, wenn ihr Baby oder Kleinkind gerade (mal wieder) schlechter schläft und sie sich Sorgen machen und denken: „Oh Mann. Kommt nach „noch müder“ vielleicht „müdest“ – das ist ja hart gerade. Ich dachte, wir hätten die schlaflosesten Nächte überstanden… aber wir machen ja momentan gefühlt drei Schritte zurück statt einen vor… und nun…?“…hilft Ihnen unsere Hebamme und siebenfache Mutter Kerstin Lüking. Sie wird Ihnen jetzt erklären, was es mit der Schlafregression auf sich hat, warum diese Phase – auch wenn sie anstrengend für Sie als Eltern ist – total toll für Ihr Kind ist und wieso gerade jetzt liebevolle Begleitung, Verständnis für die Situation, aber auch Selbstfürsorge wichtig sind.
Doro und Kerstin, unsere Expertinnen von MutterKutter (© Anne Seliger)
Liebe Kerstin, ich habe es ja eben schon gesagt: Schlafregression – das klingt sehr umständlich. Für alle, die jetzt nicht wissen, was damit gemeint ist: Bitte erkläre doch einmal den Begriff und was dahintersteckt!
Das Wort „Schlafregression“ klingt so umständlich, wie der Zustand selbst ist. Ein Zustand, den wir als Eltern ausnahmslos alle kennen. Denn eine sich gerade so schön eingeschlichene Konstante wird plötzlich über den Haufen geschmissen. Im Klartext heisst das: Unsere Kinder schlafen tagsüber kaum noch und wachen auch in der Nacht sehr häufig wieder auf.
Regression in Phasen
In welchem Alter startet denn die Schlafregression?
Das kann man so nicht pauschal sagen, da es sich um Schübe handelt. Auch das beobachten wir als Eltern ja oft. Immer dann, wenn ein nächster Entwicklungsschub ansteht oder schon voll im Gange ist, verändert sich wieder der Rhythmus mit dem eigenen Kind. Das kann zum Beispiel sein, wenn das Baby versucht, sich vom Rücken auf den Bauch zu rollen, wenn die Zähne kommen oder die ersten festen Mahlzeiten zu sich genommen werden. Das erste Lebensjahr ist prall gefüllt mit solchen Schüben, so dass wir uns gefühlt von der einen Phase in die nächste Phase begeben. Als ungefähre Zeitfenster kann man aber zwischen dem 3. und 4., im 8., im 12. und zwischen dem 17. bis 18. Lebensmonat damit rechnen, dass Schlafregressions-Phasen eintreten werden.
Warum schlafen denn die Babys und Kleinkinder jetzt schlechter? Was passiert da im Körper?
Das ist eigentlich recht einfach erklärt, denn es ist eine hochtourige Arbeit, die das Gehirn jetzt leisten muss. Nie wieder entwickelt sich ein Mensch so schnell, wie im ersten Lebensjahr. Eindrücke müssen verarbeitet, erlernte Fähigkeiten ständig wiederholt werden, damit sie im Langzeitgehirn abgespeichert werden können.
In welchen Abständen und bis zu welchem Alter haben denn unsere Kinder diese Phasen? Was passiert da jeweils im Körper in der jeweiligen Phase? Und woran erkennen wir sie?
Die erste Phase, um den 3./4. Lebensmonat, ist die Orale- und Greif-Phase. Viele Dinge werden mit dem Mund erforscht, es wird gezielt nach Spielzeug gegriffen, die Zähnchen klopfen auch schon mal an, was sich oft durch einen erhöhten Speichelfluss bemerkbar macht. Auch kleine Ausflüge in Bauchlage werden unternommen, wobei der Weg zurück in die Rückenlage noch nicht sehr häufig gelingt. In dieser Phase kann es sein, dass die Kinder nicht mehr so lange am Stück schlafen. Plötzlich wachen sie nach zwei Stunden wieder auf. Im Prinzip immer dann, wenn sie von einer in die nächste Schlafphase treten.
Sicherheit geht vor
Anstrengend wird es um den achten Lebensmonat. Jetzt beginnt eine aktive Phase, die durch Krabbeln und Robben gekennzeichnet ist. Ich empfehle immer, dass schon um den sechsten Lebensmonat damit begonnen werden sollte, die Wohnung abzusichern. Steckdosen-, Kanten-, Treppenschutz – alles sensible Punkte in unseren eigenen vier Wänden, die mit einer erhöhten Unfallgefahr einhergehen können. Auch Schubladen sollten gesichert werden, denn kleine Finger können schnell eingeklemmt werden, wenn die Lade mit Schwung zurückrollt. Ich erinnere mich an einen ungesicherten Schrank in meiner Küche. Es ist zwar meinem Kind nichts passiert, aber die Küche sah aus, als hätte es geschneit. Meine Tochter hatte die Mehl- und Reistüten entdeckt und den Raum in ein „Winter-Wunderland“ verwandelt. Heute finde ich die Fotos unglaublich witzig. Ich erinnere mich aber sehr genau daran, dass ich damals „not amused“ war, weil es eine riesige Sauerei war. Was natürlich auch ein grosses Thema im ersten Lebensjahr ist, sind die Zähne. Insbesondere die Backenzähne haben es in sich und machen allen das Leben nicht sonderlich einfach. Unterstützend kann natürlich alles eingesetzt werden, was die Naturheilkunde zu bieten hat. Ob das nun spezielle Zahnungskügelchen aus der Apotheke sind, Zahnöle, mit der die Wangen massiert werden, gekühlte Beissringe oder in der Not ein schmerzlinderndes Zäpfchen. Hauptsache, es hilft und es kehrt wieder Ruhe ein. Um den ersten Geburtstag herum können viele Kinder dann laufen. Was in den ersten Tagen noch recht wackelig aussieht und nach einigen Tippel-Schritten wieder im Krabbelmodus endet, wird durch eifriges Üben schnell zu einem stabilen „auf zwei Beinen“ stehen. Ein enormer Entwicklungsschritt, der Kraft kostet und kleine Ruhepausen benötigt. Danach geht es mit Sprachentwicklung weiter. Aus einzelnen Wörtern werden Zwei-Wort-Sätze. Eine unglaubliche Leistung von einem so kleinen Menschen, der uns mit „Mama-Ball“ oder „Hund-Wau“ unendlich glücklich macht.
Wie können wir unsere Kinder in diesen Phasen als Eltern unterstützen?
Zunächst würde ich empfehlen, dass wir uns selbst erstmal beruhigen. Das wir uns als Eltern nicht darüber aufregen, dass die Nacht schon wieder für die Miezekatze war und wir selbst nur noch ein Schatten unserer selbst sind. Wir müssen uns klarmachen, dass ein Kind uns nie mit seiner Schlaflosigkeit absichtlich in den Wahnsinn treiben will. Wir müssen verstehen, dass es sich um einen ganz natürlichen Prozess handelt, der vielleicht anstrengend, aber dennoch vorübergehend ist. Wir sollten uns selbst immer wieder zwischendurch Ruhepausen gönnen und uns am Tag nicht zu viel vornehmen. In der Regel endet nach drei Wochen eine anstrengende Phase, bevor der nächste Schub beginnt. Wir haben also durchaus Aussicht auf eine kurze Erholungsphase.
Freund/innen können unterstützen, Organisationen bieten Hilfe
Dazu bin ich eine grosse Freundin von Netzwerk-Arbeit. Eltern sollten sich nicht scheuen, um Hilfe zu bitten, wenn sie nicht mehr können. In der Regel packt immer jemand mit an. Das können Eltern aus dem Kindergarten sein, die Grosseltern, die Patentante oder der Patenonkel etc. Irgendjemand wird definitiv helfen können. Zzur Not muss man sich die Hilfe von extern einkaufen, wenn es finanziell machbar ist. Alternativ gibt es Organisationen wie z.B. „Wellcome", die Mütter im ersten Lebensjahr zu Hause unterstützen. Gerade für Alleinerziehende kann dieses Angebot eine extrem gute Entlastung darstellen. Leider nicht in der Nacht, aber vielleicht kann die Hilfe dazu beitragen, dass die Akkus am Tag so gut gefüllt werden, dass die Nächte gut überstanden werden können.
Wir haben unsere Kinder nachts viel getragen. Das hat sehr geholfen. Womit hast du gute Erfahrungen gemacht?
Um ehrlich zu sein, habe ich meine Kinder immer bei mir im Bett schlafen lassen. In der Regel bis zum achten/neunten Lebensmonat. Das hat uns schon sehr viel Stress erspart, da unsere Kinder durch den vielen Körperkontakt besser durch die Nacht gekommen sind. Anstrengende Phasen hatten wir natürlich dennoch, da unsere Kinder einen relativ geringen Altersabstand zueinander haben. Das hiess bei uns entweder: Zahnen, Ohrenschmerzen, Erkältung, Läuse, Magen-Darm, Hand-Fuss-Mund, Rota-Viren, kleine Unfälle etc. pp. und dann in umgekehrter Reihenfolge in einem Zeitfenster von zehn Jahren. Mein Mann und ich haben uns immer gesagt, dass wir das so wollten und wir da jetzt durch müssen. Irgendwann ist es vorbei, danach bekommt man sie aus dem Bett überhaupt nicht mehr raus. Denn die Wundertüte Pubertät ist ja auch so eine „Phase“ voller Überraschungen.
Miteinander sprechen
Und was ist, wenn das Baby gestillt wird, „nur“ die Brust möchte und der Partner oder die Partnerin eigentlich nachts gar nicht viel helfen können. Welchen Tipp würdest du Eltern an die Hand geben? Wie können wir uns die Aufgaben trotzdem teilen?
Natürlich kennen wir diese Phasen, dass unser Kind gefühlt die halbe Nacht nur an der Brust trinken will. Sobald das Baby an den Partner oder die Partnerin übergeben werden soll, weint es bitterlich. Eine unfassbar anstrengende Phase, unter der auch die Beziehung leiden kann. Damit man sich als Paar nicht verliert, sollte darüber offen gesprochen werden. Jeder muss sagen dürfen, was ihn gerade stört, woran er bzw. sie gerade verzweifelt und was er oder sie sich wünschen würde, damit es besser wird. Man sollte also zunächst also ein Grundverständnis dafür bekommen, was sein Gegenüber gerade bewegt und was es braucht, damit es allen gut geht. Das kann ein Spaziergang ohne Kind sein, Körperkontakt oder einfach nur ein warmes Essen, was der eine dem anderen kocht. Elternsein als Paar in der Anfangszeit ist absolute Herausforderung, die viel Aufmerksamkeit braucht.
Gibt es denn irgendetwas, auf das wir tagsüber achten können, sodass die Schlafregression nicht „so wild“ wird? Oder ist das Erlebte am Tag unabhängig von den Nächten?
Wir sollten uns schon darüber bewusst sein, dass wir vielleicht nicht auf jeder Hochzeit mittanzen müssen. Familienfeiern, Ausflüge ins Kaufhaus, Restaurantbesuche – ich gönne es wirklich allen – aber für viele kleine Kinder ist das einfach zu viel. Kleine Ruhepausen am Tag in einem abgedunkelten Schlaf- oder Kinderzimmer als bekannten Rückzugsort, untermauert mit festen Ritualen, wie z.B. eine Geschichte oder eine bekannte Melodie, können schon Wunder vollbringen und für Erholung sorgen.
Es fällt uns Eltern ja gerade in den ersten Jahren oft schwer, uns auch noch um uns selbst zu kümmern. Welche Tipps hast du gegen die Müdigkeit? Wie können wir mehr schlafen? Und wie auch noch Selbstfürsorge betreiben, wenn wir den Fokus auf unserer Elternrolle haben?
Mein Mann hat nach der Geburt unserer zweiten Tochter gesagt: „Sag was du willst, dann bekommst du, was du willst!“ Dieser Satz hat sich bei mir extrem eingebrannt, denn auch ich habe immer gedacht: „Mensch, er muss doch wissen, was ich gerade brauche!“ Nö, falsch gedacht. Woher sollen die Partner*innen das wissen? Es steht uns ja nicht auf die Stirn tätowiert. Das wäre also schon mal mein erster Tipp zur Selbstfürsorge: Klares Einfordern von Hilfe und Unterstützung. Und dann nochmal: Netzwerken ohne Ende! Und zudem: Die eigene Perfektionistin auf den Mond schiessen! Damit können wir gut den Tag entstressen und Druck von den Schultern nehmen.