Verschiedene Phasen der Trauer
Jeder Mensch verarbeitet seine Trauer anders und braucht auch unterschiedlich viel Zeit dazu. Kannst du einen ungefähren Ablauf eines Trauer-Prozesses beschreiben, der für die Person, die trauert, ein wenig Licht am Horizont aufzeigen lässt?
Ja, das fand ich sehr spannend. Es gibt Phasen, die man durchläuft. Man liest sie sogar deutlich raus in meinen Kapiteln. Da gibt es zum Beispiel das "Wut-Kapitel“, das mit dem Satz endet: „Und jetzt klapp das Buch zu. Gibt keinen Nachschlag.“ Ich habe es voller Wut geschrieben und heute schreiben mir viele Leser und Leserinnen, wie gut es sich anfühlt diese Zeilen zu lesen. Oder das Kapitel über die Wut auf die pietätlosen Mitmenschen. Davon gibt’s nämlich jede Menge, wenn jemand stirbt. Klar, die wissen es nicht besser und sind hilflos, aber sie lassen die Wut spriessen wie kleine Pflänzchen. Es ist verrückt. Und dann spürst du eines Tages: Ich bin ein Stück weiter in der Trauer.
Übrigens, um die Frage ganz sachlich zu beantworten: Es gibt erst die Phase des "Nicht-Wahrhaben-Wollens", dann kommt der "Emotionen-Tsunami“ mit der Wut, gefolgt von Phase drei des Verhandeln, des "Suchen und Sich-Trennen", in der man sich auseinandersetzt und schliesslich Phase vier mit dem neuen Selbst- und Weltbezug. Einige Experten bauen an vierter Stelle noch eine Depression ein und erst dann die Akzeptanz. Das ist unterschiedlich. Die Phase können sich auch überlagern oder quasi zurückspringen. Auch das würde ich völlig normal finden.
Ich wollte die Trauer bei den Hörnern packen!
Gab es bestimmte Rituale oder auch andere Dinge, die Deinen Trauer-Prozess unterstützt haben?
Ich konfrontiere mich gerne. Ich habe die alten Tagebücher meiner Mutter gelesen, das tat mir gut. Recherchiert, was Experten raten, auch wenn ich ihre Ratgeber schrecklich fand. Die Quintessenz habe ich dann quasi gefiltert, getestet und für mich modifiziert. Darüber habe ich dann wieder in „Mama ist tot. Und jetzt?“ geschrieben, so dass jeder mit mir vorantrauern kann. Für mich war klar, ich packe die Trauer bei den Hörnern, wenn sie mich anfällt wie ein wildes Tier. Ich wollte sie ausleben, daran reifen und wieder glücklich sein können – auch für mein Kind und die, die ich mir noch gewünscht hatte. Es sind ja inzwischen drei! Mir war wichtig: Es muss nach vorne gehen! Mein Buch ist ja auch nicht traurig, man lacht auch viel und auch das muss man erstmal wieder lernen. Ich habe viele Gespräche geführt, die mich vorangebracht haben, die meine Leser mit mir zusammen erleben können.
Kerstin Lüking, Hebamme und Expertin von MutterKutter (© Anne Seliger)
Wie seid Ihr als Familie mit dem Tod Deiner Mutter umgegangen? Waren Deine Kinder zu diesem Zeitpunkt schon auf der Welt, denen Du den Verlust der Oma erklären musstest?
Meine grosse Tochter war ein super Trauerbuddy. Ich denke auch, dass Kinder viel besser trauern als Erwachsene, weil sie annehmen können, was ist. Wir hadern immer noch und zaudern und sie sehen das Schöne im Moment. Meine Tochter hat erstaunliche Dinge zu mir gesagt in den dunkelsten Stunden. Ich weiss noch, wie ich ihr sagen musste, dass Omi nicht mehr atmet. Mir graute so sehr davor und ich habe natürlich alles falsch gemacht. Psychologen raten ja dazu, dass man sagt: „Sie ist gestorben“. Und nicht so Worthülsen wie: „Sie ist nicht mehr bei uns.“ Und ich habe natürlich genau das gesagt. Und als ich fertig war, sagte mein Kind: „ Ich freue mich schon darauf, Omi bei der Beerdigung zu sehen.“ Und ich dachte: Anna, du Versagerin, sie hat es nicht verstanden. Ich habe dann zu ihr gesagt: „Aber, wir werden sie nicht sehen. Nie wieder.“ Und meine Tochter sagte: „Mama, natürlich werden wir sie sehen. Mit unseren Herzen.“ Da war ich baff.
Love is my religion!
Du sagtest, du bist nicht gläubig. Woran glaubst du?
Daran, dass wir alle mit einander verbunden sind. Love is my religion. Und die kann man problemlos überall mit hin nehmen. Meine Mutter ist immer bei mir, daran glaube ich ganz fest. Ich bin viel stärker geworden. Und wenn nur ein trauernder Mensch mein Buch liest und es ihm oder ihr danach besser geht, habe ich mein Ziel als Autorin dieses Buches erreicht. Da ich oft Mails und Nachrichten bekomme, die mich zu Tränen rühren, weiss ich, dass das geklappt hat. Neulich sagte mir jemand: „Das ist das ehrlichste und liebesvollste Buch, was ich je gelesen habe.“ Und da schliesst sich der Kreis.
Tipps von MutterKutter, wie am besten mit Kindern über das Thema Trauer gesprochen werden kann:
- Wir raten dazu, die Fragen von Kindern zu beantworten. Vielleicht nicht gleich im ersten Moment, es ist Okay zu sagen: „Ich gebe dir zeitnah eine passende Antwort“ und sich erst einmal in entsprechenden Kinderbüchern oder Ratgebern zu belesen. Denn jedes Alter braucht eine unterschiedliche Ansprache. Dennoch raten wir dazu, mit dem Kind ehrlich zu sein und es darauf vorzubereiten, dass der Mensch, um den es sich dreht, bald – in dieser Form – nicht mehr da sein wird.
- Wir hören immer wieder von Eltern, die „nur“ heimlich weinen. Wir glauben, dass es wichtig ist, die eigenen Gefühle zu zeigen. Kinder spüren viel und wissen meistens eh, dass was los ist. Dazu sind sie meistens stärker, als wir vielleicht annehmen.
- Geben Sie Ihrem Kind die Chance, sich zu verabschieden und nehmen Sie es auch mit auf die Beerdigung, wenn das Alter es zulässt.
- Ein Ritual ist eine tolle Möglichkeit zur Trauerbewältigung. Bei Kerstin hat zum Beispiel jedes Kind einen Wunsch auf einen Aufkleber geschrieben und diesen jeweils auf die Urne geklebt.
- Scheuen Sie sich nicht davor, professionelle Hilfe zu suchen, wenn Sie merken, dass Sie oder Ihr Kind hier alleine nicht rauskommen. Fragen Sie im Zweifel Ihre*n Hausarzt*ärztin nach einer passenden Anlaufstelle. Auch Kirchen bieten beispielsweise Hilfe an.
Hier finden Sie Hilfe:
Hilfe für verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V.:
veid.de