Dorothee Dahinden, unsere Expertin von MutterKutter (© Anne Seliger)
Ich, Doro, hatte vor allem mit meinem ersten Kaiserschnitt zu "kämpfen". Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich versagt habe. Das hat lange nachgehallt. Der zweite hat mich dann irgendwann versöhnt – wie ging es dir danach? Welche Gefühle hattest du? Und was hat dir dann geholfen?
Ich kenne das Gefühl, versagt zu haben, so gut! In den ersten Wochen nach dem Kaiserschnitt habe ich oft gedacht, dass mein Körper unserem Kind und mir die Erfahrung einer natürlichen Geburt nicht hat geben können. Am Anfang konnte ich nicht einmal davon sprechen, dass ich "geboren" oder "entbunden" habe. In meinem Empfinden war mir einfach unser Kind aus dem Bauch geschnitten worden, während ich ausgeknockt auf der OP-Pritsche lag. Was mir sehr geholfen hat, waren Gespräche mit meinem Mann. Und dass wir uns vor dem Kaiserschnitt in Vollnarkose dafür stark gemacht haben, dass der Papa sofort nach der Erstuntersuchung zu unserem Baby kann. Das hat mir zumindest die Sicherheit gegeben, dass sich unser Sohn nicht alleine gelassen fühlen muss.
Wir haben den ersten Schrei auf Video!
Und wir konnten das Klinik-Team überzeugen, den Moment per Video aufzunehmen, in dem unser Baby aus dem Bauch gehoben und geboren wurde: der erste Schrei! Im Hintergrund haben sie ein Stativ aufgestellt, damit ich im Nachhinein sehen konnte, wie mein Mann den Kleinen in Empfang genommen hat und mit ihm kuscheln konnte, bis ich wieder bei Bewusstsein war.
Und ich konnte mein erstes Zusammentreffen mit unserem Sohn, bei dem ich ja noch recht benommen war, im Nachhinein nochmal ansehen. Das hat mir enorm bei der Verarbeitung geholfen. Es hat mich sehr erleichtert, als ich auf dem Video sehen konnte, wie vorsichtig unser Kind aus dem Bauch gehoben wurde – da war gar nichts mit herausreissen! Es tat mir unendlich gut, das Bonding nochmal nachzuerleben, meine Gedächtnislücken zu füllen und zu spüren: Ich war in diesem Moment zwar geistig noch nicht ganz bei mir, aber die ganze Gefühlswucht für unser Kind konnte sich trotzdem den Weg durch den Narkosenebel bahnen!
„Ja, ich bin dankbar. Aber es ist eben nicht egal, wie man entbindet.“
Wie hat dein Umfeld reagiert danach? Oft beschwichtigen ja die Menschen, zum Beispiel: "Hauptsache gesund!" – das fand ich richtig ätzend. Wie erging es dir?
Weil die Situation doch ziemlich bedrohlich klang, waren meine Familie und Freunde einfach nur erleichtert, dass der Kleine und ich gesund waren, zusammenbleiben konnten und das Ganze gut überstanden hatten. Ich durfte im Wochenbett viel Unterstützung erfahren, das tat gut.
Aber wenn Aussenstehende, die die Vorgeschichte nicht kennen, z.B. eine Sprechstundenhilfe beim Kinderarzt oder Bekannte, davon hören, dass ich einen Kaiserschnitt hatte, erntete ich fragende Blicke, gerümpfte Nasen, hochgezogene Augenbrauen: Wieder so eine, die den Schmerzen entgehen will (im Ernst?!), sich die Figur nicht versauen möchte oder was auch immer, schienen sie still zu sagen. Man wird in Erklärungsnot gebracht. Und wenn ich dann die medizinische Notwendigkeit erzählte und beschrieben habe, wie traurig ich darüber bin, dass mir eine natürliche Geburt verwehrt geblieben ist, hiess es jedes Mal: "Das ist doch nicht wichtig. In so einem Fall muss man doch einfach nur dankbar sein, dass es dir und dem Baby gut geht." Ja, ich bin dankbar. Aber es ist eben nicht egal, wie man entbindet.
„Es ist schlimm, wenn man die ersten Stunden im Leben des eigenen Kindes verpasst.“
Meine Schwägerin bekam acht Wochen nach mir ein Baby. Da lief alles super, sie konnte „natürlich“ gebären und danach gleich nach Hause gehen. Als ich das Foto von ihr, erschöpft und glücklich, mit dem frisch entbundenen Baby an der Brust und dem stolzen Papa daneben in unserer Familiengruppe sah, habe ich mich natürlich für sie gefreut. Aber es hat mir nochmal schmerzlich vor Augen geführt, was ich verpasst habe. Dieser Moment war uns als Familie verwehrt geblieben und kommt nie mehr zurück. Es ist schlimm, wenn man die ersten Stunden im Leben des eigenen Kindes verpasst. Und diese Trauer und Enttäuschung müssen ihren Platz haben dürfen!
Was bedeutet die Narbe für dich?
Am Anfang fühlte sie sich sehr fremd an, der Bereich war ja auch lange taub. Die Narbenpflege hat mein Mann übernommen, weil ich mich einfach nicht dazu durchringen konnte, "das Ding" zu berühren. Zu sehr hat es mich anfangs an all das erinnert, was ich betrauere. Irgendwann meinte mein Mann, dass er die Narbe sehr mag, weil sie ihn immer an dieses kleine Wunder erinnern wird, das da herausgekommen ist. Das hat mich ein Stück weit versöhnt. Jetzt nach einem Jahr fällt sie mir kaum noch auf.
Hast du einen Tipp an alle, die eine Bauchgeburt hinter sich haben?
Am wichtigsten finde ich: sich Zeit lassen und sich diese widersprüchlichen Gefühle zugestehen. Du darfst das grosse Glück über dieses kleine Wunder verspüren und gleichzeitig traurig und enttäuscht sein über das Verpasste, weil du dir ein anderes Geburtserlebnis gewünscht hättest. Lass dir unbedingt im Alltag helfen und übernimm dich körperlich nicht, auch wenn es schwerfallen mag!
Kerstin Lüking, Hebamme (© Anne Seliger)
Sophies Geschichte ist ein Paradebeispiel dafür, wie es eigentlich nicht laufen sollte!
Beim ersten Durchlesen von Sophies Geburtsbericht läuft mir, Kerstin, ein Schauer über den Nacken. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie es eigentlich nicht laufen sollte. Natürlich kommen einem sofort solche Fragen in den Sinn, wie: Warum Vollnarkose? Warum dieses Hin-und Her mit dem Termin? Warum muss eine frisch operierte Frau auf dem Klinikflur aufwachen? Warum musste es eine Uniklinik sein? Wurde eine Zweit- oder Drittmeinung eingeholt? Wieso wurde die Schnittführung eingezeichnet?
Beim Durchlesen solcher Texte ist es immer wichtig, dass Dinge hinterfragt werden, da sie sonst eine eher abschreckende Wirkung haben und suggerieren: Der Kaiserschnitt ist etwas Böses!
Aus meiner Hebammensicht: Deshalb musste Sophie einen Kaiserschnitt bekommen!
Sophie hat uns im Nachhinein erzählt, dass sie unter einer Thrombozytopenie leidet, was im Klartext bedeutet, dass sie zu wenig Blutplättchen hat, die für die Blutstillung zuständig sind.
Leidet man nun also unter einem Mangel, kann es zu einem Verbluten kommen, wenn nicht sofort eine Thrombozyten-Transfusion erfolgt. Da es sich bei Sophie um eine Erkrankung handelt, die in der Familie gehäuft vorkommt, war es ungewiss, ob auch das ungeborene Kind davon betroffen ist. Starke Wehen oder auch die Durchführung einer Saugglockengeburt hätten beim Baby zu Blutungen im Gehirn führen können, so dass der geplante Kaiserschnitt unabdingbar war. Die Durchführung einer PDA war ebenfalls nicht möglich, da es, aufgrund des Thrombozytenmangels, zu Einblutungen in den Spinalkanal hätte kommen können. Die Durchführung der geplanten Sectio in Vollnarkose hatte somit seine absolute Berechtigung, da es bei einer spontanen Geburt, einen tödlichen Ausgang für Mutter und Kind hätte geben können.
Ich verstehe die Gefühle von betroffenen Müttern absolut!
Natürlich weiss ich, dass gerade für die betroffene Mutter eine Welt zusammenbricht, wenn es keine weitere Option für den Geburtsausgang gibt. Und natürlich trösten einen die Worte, wie: „Hauptsache sie und ihr Kind überleben das hier alles!“ überhaupt nicht. Ich empfinde sie fast als übergriffig, weil eine Trauer, die eine Frau in dieser Situation erlebt, überhaupt nicht für existent befunden wird. Jemand anderes entscheidet darüber, dass ich gefälligst glücklich und bitte auf Knopfdruck mit der Situation meinen Frieden schliessen soll.
Den Umstand, dass Sophie zwei Mal die OP abgesagt wurde, empfinde ich als extrem schwierig. Es ist ein absoluter Nervenkitzel für jede*n Patient*in, der kurz vor einer OP steht.
Sophies Erlebnis ist in diesem Punkt unverzeihlich und ich empfehle immer solche Erlebnisse im Nachhinein mit dem Klinikpersonal oder der Leitung zu thematisieren. Ebenso das Aufwachen auf dem Flur ist ein “No Go!“ und sollte so nicht vorkommen. Sophie hat jedoch für eine sehr wichtige Sache im Vorfeld gesorgt, nämlich die Aufstellung der Kamera im OP. Es hat ihr im Nachhinein geholfen, den Filmriss, der durch die Vollnarkose erfolgte, wenigstens teilweise zu schliessen.
So können Sie sich auf einen Kaiserschnitt vorbereiten:
Wenn ich gefragt werde, ob man sich auf einen Kaiserschnitt vorbereiten kann, wird dieses immer von mir bejaht. Wichtig ist eine ordentliche Aufklärung über die Vorgänge durch das Klinik-Personal. Im besten Fall auch über die eigene Hebamme, die meist mehr Zeit für ein tiefergehendes Gespräch hat.
Es sollten alle Schritte genau erklärt werden. Angefangen bei den Vorbereitungen, dem Aussehen des OP‘s – und den Fragen: Welche Menschen werden anwesend sein und welche Funktionen haben sie. Welche Risiken kann eine OP mit sich bringen, wie wird die OP genau durchgeführt, welche Schmerzmittel bekomme ich, wann werde ich wieder aufstehen können, wie pflege ich meine Narbe?
Wenn ich aufgeklärt bin, mir die Räumlichkeiten und auch ein kleiner Teil des Personals bekannt ist und eine Begleitperson anwesend sein kann, kann es besser gelingen und das Erlebnis positiver angenommen und auch verarbeitet werden.
Tipps für das Wochenbett nach einem Kaiserschnitt
Das Wochenbett nach einem Kaiserschnitt verläuft zu Beginn meistens etwas anders, als nach einer spontanen Geburt. Die Bewegung ist für die ersten Tage oft eingeschränkter, die Seitenlage ist oft noch nicht möglich, daher werden die verschiedenen Stillpositionen erschwert. Die Wundheilung ist gelegentlich verzögert, da sich die noch überlappende ausgedehnte Haut übereinanderlegt, was die Luftzirkulation und das Abheilen verzögern kann. Der Wochenfluss ist in der Regel nicht so stark ausgeprägt, wie nach einer spontanen Geburt, da die Wunde unter der OP abgesaugt wurde.
Ich möchte aber auch Mut machen! Ich habe viele Frauen nach einem Kaiserschnitt erlebt, die schnell wieder auf den Beinen waren. Die OP-Technik nach Misgav-Ladach, bei der wenig geschnitten und das Gewebe vorzugsweise gedehnt wird, macht es möglich, dass die Frauen sehr schnell wieder mobil werden. Selbstauflösendes Fadenmaterial ist heute gängig und wird in der Regel gut vertragen.
Grundsätzlich gilt für alle Frauen im Wochenbett: Ruhe und Schonung. Leichte Mobilisation, viel Schlaf, gutes ballaststoffreiches Essen, kein schweres Heben, eine liebevolle Zuwendung durch Familienmitglieder, eine Haushaltshilfe oder Freunde, die Möglichkeit über das Geburtserlebnis sprechen zu können, vorsichtiges Aufstehen aus dem Bett oder das Festhalten des Bauches bei Positionswechseln, sind nur einige Beispiele für eine Erleichterung der Situation.
Ich empfehle den Besuch bei einer*m Osteopath*in!
Der Körper braucht Zeit, um sich regenerieren zu dürfen und erfahrungsgemäss geht es vielen Frauen zwei Wochen nach einer spontanen Geburt und auch nach einem Kaiserschnitt viel besser. Ich empfehle grundsätzlich immer nach Geburten, dass sich die Frauen von einer*m Osteopath*in begleiten lassen, da sich meist durch die Schwangerschaft Veränderungen in der Gewebestruktur eingeschlichen haben, die zu Muskel- oder Gelenkschmerzen führen.
Um Verklebungen im Bindegewebe zu lösen, die durch die OP entstanden sind, empfehle ich bei einer abgeheilten Wunde mit einer Narben-Massage zu beginnen. Erfahrungsgemäss verblassen nach einiger Zeit die Geburtserlebnisse, so dass es hilfreich sein kann, alles zeitnah aufzuschreiben. So hat man zu einem späteren Zeitpunkt immer wieder die Möglichkeit, auch mit Hilfe einer Psycholog*in, alles aufarbeiten zu können.
Viele Frauen holt das Geburtsgeschehen spätestens bei einer weiteren Schwangerschaft wieder ein.
Bedeutet einmal Kaiserschnitt immer einen weiteren Kaiserschnitt? Darüber informieren wir Sie im nächsten Artikel hier im Magazin von tausendkind.