Was hilft?
Sollten wir denn überhaupt einschreiten? Ich, Doro, rufe gerne mal ein "könnt ihr lieb zueinander sein" nach oben...Oder andersrum: Ab wann sollten wir einschreiten?
Ich vermute mal, dass dein Ruf in der Regel nicht hilft. Er drückt zwar Deinen Wunsch nach Harmonie aus, aber Deine Kinder haben in diesem Moment einen Konflikt, der ausgetragen werden soll und sie können eben gerade genau das nicht: lieb zueinander sein. Es ist wichtig, unterscheiden zu lernen, welche Art Streit deine Kinder gerade miteinander haben. Es gibt Streite, die sehr wichtig sind, um soziales Miteinander zu lernen und zu erkennen, wann man zu weit gegangen ist, oder wenn man den anderen mit Worten oder Taten verletzt hat. Da wäre es kontraproduktiv, einzugreifen, denn dann würden wir unseren Kindern diese Lernchance nehmen. Pauschal kann man das also gar nicht sagen. Wir haben im Buch viele, viele Seiten dem Thema Streit gewidmet – worum sich der Streit dreht, was wirklich dahintersteckt und wie Eltern reagieren sollten. Wir haben ein Fliessdiagramm erstellt, an welchem Eltern innerhalb von Minuten abchecken können, ob sie eingreifen müssen, oder nicht.
Um Streit pädagogisch wertvoll begleiten zu können, sollten wir im Moment des Konflikts genug Kraft haben. Sind wir gerade genervt, in Eile oder selbst angespannt, können wir überlegen, ob wir es aushalten, den Streit unbegleitet laufen zu lassen. Ist dein eigenes Stresslevel zu hoch, ist es eher sinnvoll, einzugreifen, die Kinder zu trennen und den Streit später ausfechten zu lassen. Immer eingreifen sollten wir, wenn eine essentiell wichtige Familienleitlinie übertreten wurde, ein Kind wehrlos oder verletzlich ist, sehr viel Energie aufwenden muss, um sich zu schützen oder natürlich in Gefahr ist. Wenn all diese Dinge nicht zutreffen, dann kannst Du den Streit erst einmal laufen lassen und den Kindern die Möglichkeit geben, sich auf sozial-emotionaler Ebene weiter zu entwickeln. Solange kein Blut fliesst und die Kinder körperlich und verbal ebenbürtig sind, kann man sie ruhig streiten lassen.
Kerstin, unsere Expertin von MutterKutter (© Anne Seliger)
Übrigens, Danielle und Katja haben auch ein Geschwisterbuch speziell für kleine Kinder. Ein Bilderbuch - total toll!
Ein Leben mit Teenager-Geschwistern stellt sich nochmal als besondere Herausforderung heraus, für die wir als Eltern Nerven aus Stahl benötigen. „Wo ist Mama?“, brüllt es mir, Kerstin, häufiger in einem energischen Tonfall um die Ohren, bis mir der Rest der Nachricht in hochfrequenter Tonlage entgegen geschmettert wird. „Greta war schon wieder an meinem Kleiderschrank und hat sich an meinen Sachen bedient. Sag ihr, dass das nicht geht!“ Danach motzender Bühnenabgang.
Als Eltern auch mal stur bleiben
Mittlerweile bleibe ich gelassen und verweise stur darauf, dass ich die falsche Empfänger-Person für diese Nachrichten bin. Denn auch das war ebenfalls eine Empfehlung von Danielle an uns, nur dann einzugreifen, wenn sich die Geschwister untereinander tätlich angreifen. Und in den meisten Fällen geht es bei uns tatsächlich nur um gemopste Kleidungsstücke, die in der Regel mit Teenager-Schweissgeruch irgendwo wieder auftauchen. Ich bin diesbezüglich also aus dieser Diskussion raus und lasse meine Kinder den „Kampf“ alleine ausfechten. Ich rede mir dabei ein, dass dies wohl alles für einen guten Zweck sein wird, da meine Kinder später eine extrem stark ausgebaute Sozialkompetenz haben werden. Wird also ein späterer Vorgesetzter oder Kollege mal mürrisch, erhoffe ich mir einen eindeutigen Vorteil für meine Kinder, die schon 18 Jahre zuvor durch eine harte Geschwister-Zoff-Schule gehen mussten.
Aber nicht nur Streit dominiert unseren Familien-Alltag, sondern auch Zusammenhalt und Gemeinschaftsgefüge. Nach einem Fahrrad-Unfall kümmerte sich der grosse Bruder sehr liebevoll um den kleinen Bruder, der Huckepack durch die Wohnung vom Bett zum Klo und dann zum Fernseher getragen wurde. Dort wartete dann schon ein Teller mit geschmierten Broten auf den Verletzten und eine Wärmflasche. Auch die Schwestern sind füreinander da, wenn Tränen um verflossene Freundschaften geweint werden: „Mama, jetzt nicht da reingehen! Wir müssen noch was unter uns besprechen.“ Aha, also Zugang verboten für die Frau, die mit Kraft und Mühe diese Kinder auf die Welt gepresst hat.
Es sind Momente, in denen ich weiss, es ist alles gut. Sie werden sich schon verstehen und füreinander da sein. Ein Leben lang. Ein Gefühl, von dem ich als Einzelkind nur träumen kann.